Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlehensweise Übernahme von Stromschulden durch einstweiligen Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
Die Unterbrechung der Stromversorgung stellt auch nach neuer Gesetzeslage (§ 22 Abs. 8 SGB II n. F.) eine der Wohnungslosigkeit nahe kommenden Notlage dar (siehe Beschluss der 21. Kammer des Sozialgerichts Bremen vom 10. Februar 2009 - S 21 AS 6/09 ER). Daraus folgt, dass der Leistungsträger in der Regel entsprechende Stromschulden zu übernehmen hat und lediglich in atypischen Fällen hiervon abweichen kann.
Orientierungssatz
1. Die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz setzt u. a. die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes voraus. Die Anordnung muss zur Anwendung wesentlicher Nachteile erforderlich sein. Entscheidend ist, ob ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache hingenommen werden kann.
2. Nach § 22 Abs. 8 SGB 2 können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Hierzu zählen auch Stromschulden, wenn anderenfalls die Wohnung unbewohnbar würde.
3. Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung hat der Leistungsträger entsprechende Schulden zu übernehmen. Lediglich in atypischen Fällen kann er davon abweichen. Die Unterbrechung der Stromversorgung stellt eine der Wohnungslosigkeit nahe kommende Notlage dar. Ist eine Stromsperre bereits vollzogen, so ist grundsätzlich von einer Ermessensreduzierung des Leistungsträgers gemäß § 22 Abs. 5 S. 2 SGB 2 zugunsten einer Schuldenübernahme auszugehen.
4. Ist die Stromversorgung bereits eingestellt, so ist auch der erforderliche Anordnungsgrund gegeben.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller ein Darlehen über 1077,12 Euro zur Tilgung der bei der AVJ. A-Stadt GmbH entstandenen Zahlungsrückstände zu gewähren. Dem Antragsgegner wird nachgelassen, den Betrag direkt an die AVJ. A-Stadt GmbH zu leisten. Die Zahlung erfolgt darlehensweise und unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe
I.
Der Antragssteller (Ast.) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung eines Darlehens, um damit Stromschulden beim Energieversorger begleichen zu können.
Der 1981 geborene Ast. erhält laufende Leistungen nach dem SGB II vom Antragsgegner. Nachdem er von der AVJ. eine sog. letzte Zahlungsaufforderung erhalten hatte, beantragte er die Übernahme des Betrages bei dem Antragsgegner. Dieser lehnte den Antrag mit Schreiben vom 22.03.2011 ab. Zur Begründung erklärte er, ein Darlehen komme nicht in Betracht, "da diese nur bei Familien mit jungen Kindern bewilligt werden". Mit Schreiben vom 29.03.2011 erhob der Ast. Widerspruch (Bl. 8 der Gerichtsakte), über den noch nicht entschieden ist. Ebenfalls am 29.03.2011 unterbrach die AVJ. die Stromversorgung (Bl. 9 d. A.).
Am 29. März 2009 hat d. Ast. beim Sozialgericht die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Zur Begründung erklärt er, die Stromkosten würden direkt an die AVJ. über-wiesen. Die entstandenen Stromrückstände könne er sich nicht erklären. Sein Bewährungshelfer habe bei der AVJ. niemanden erreichen können. Durch die Einstellung der Stromversorgung seien ihm notwendige Dinge des Lebens verwehrt.
Der Antragsgegner (Ag.) ist dem Antrag entgegengetreten. Er meint, auch er könne sich den Stromrückstand (gemeint wohl: Zahlungsrückstand) nicht erklären. Er gehe davon aus, dass ein Abrechnungsfehler seitens der AVJ. vorliege. Bereits 2007 seien Stromrückstände übernommen worden.
Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen. Die Verwaltungsakte ist dem Gericht durch den Ag. nicht innerhalb der gesetzten Wochenfrist übersandt worden.
II.
Der gem. § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung we-sentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 27, 29). Ein materieller Anspruch ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur einer summarischen Überprüfung zu unterziehen; hierbei muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass ihm aus dem Rechtsverhältnis ein Recht zusteht, für das wesentliche Gefahren drohen (Meyer-Ladewig, aaO, Rn. 29, 36). Der Anordnungsgrund setzt Eilbedürftigkeit voraus, dass heißt, es müssen erhebliche belastende Auswirkungen des Verwaltungshandelns schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Dabei muss die Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Dies bedeutet zugleich...