Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Widerspruchsfrist. keine unrichtige bzw unvollständige Rechtsbehelfsbelehrung. fehlende Belehrung über Eröffnung der elektronischen Form der Widerspruchserhebung. elektronischer Rechtsverkehr. Einrichtung einer EGVP-Adresse des Jobcenters. fehlende konkludente Widmung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Einrichtung einer EGVP-Adresse zur Kommunikation des SGB II-Trägers mit den Gerichten ist keine Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs zur Erhebung von Widersprüchen. Der Annahme einer konkludenten Widmung stehen die ausdrücklichen Hinweise zum Widerspruchsverfahren in Schriftform oder zur Niederschrift in den Merkblättern und im Internetauftritt der Jobcenter entgegen.

2. Weder § 84 SGG in der seit 1.1.2018 geltenden Fassung noch § 2 EGovG bzw § 4 EGovG Berlin machen eine vom Willen der Behörde getragene Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs für Widersprüche entbehrlich.

3. Die vom Wortlaut des § 84 SGG abweichende Rechtsbehelfsbelehrung ist daher nicht unrichtig mit der Folge, dass die Widerspruchsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe gilt.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung eines Einstiegsgeldes zur Förderung einer aufgenommenen Beschäftigung ist streitig ist, ob der Kläger fristgemäß Widerspruch gegen einen Überprüfungs-Ablehnungsbescheid erhoben hat.

Der Kläger wurde zum 1.9.2017 als „english speaker“ gegen ein Entgelt von 1260 € brutto in einem Kinderhaus eingestellt.

Auf einen Förderantrag von 2.10.2017 war ihm mit Bescheid vom 6.11.2017 Einstiegsgeld in Höhe von 250 € monatlich für die Dauer von 6 Monaten (bis zum 28.2.2018) bewilligt worden.

Mit Fax vom 28.2.2018 hatte der Kläger erneut Einstiegsgeld beantragt. Eine weitere Förderung war mit Bescheid vom 29.3.2018 abgelehnt worden; die Förderentscheidung werde nur einmal getroffen in Zusammenhang mit der Aufnahme einer Beschäftigung.

Einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides vom 6.11.2017 und vorsorglich des Bescheides vom 29.3.2018 wies der Beklagte als unbegründet zurück (Bescheid vom 14.12.2018).

In der Rechtsbehelfsbelehrung dieses Bescheides wird lediglich darüber belehrt, dass der Widerspruch „schriftlich oder zur Niederschrift bei der im Briefkopf genannten Stelle“ einzule-gen ist.

Zu der im Briefkopf des Bescheides genannten Stelle, dem Jobcenter Spandau, findet sich u.a. die Angabe einer E-Mail-Adresse: „Jobcenter-Spandau-Team921@jobcenter.de“

Der Bescheid wurde am 17.12.2018 zur Post gegeben.

Den mit Schreiben vom 19.2.2019 erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.12..2018 wies der Beklagte als verfristet zurück (Widerspruchsbescheid vom 4.4.2019).

Am 6.Mai hat der Kläger Klage auf ermessensgerechte Bescheidung seines Förderantrags erhoben. Der Bescheid vom 6.11.2017 lasse die Gesichtspunkte für die nur sechsmonatige Förderung nicht erkennen.

Der Widerspruch vom 19.2.2019 sei fristgemäß erhoben worden, weil die 1jährige Frist nach § 66 Abs. 2 SGG gelte. Denn gegen die seit 1.1.2018 maßgebende Fassung von § 84 SGG habe der Beklagte in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht darauf hingewiesen, dass auch in elektronischer Form nach § 36a SGB I Widerspruch erhoben werden könne.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt demgemäß,

den Widerspruchsbescheid vom 4.4.2019 sowie den Bescheid vom 14.12.2018 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 6.11.2017 zu verurteilen, den Antrag auf Einstiegsgeld nach sachgerechtem Ermessen zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 14.12.2018 sei verfristet erhoben worden. Die Rechtsbehelfsbelehrung habe zutreffend auf die bestehenden Zugangswege für einen Wider-spruch belehrt. Es habe keine Verpflichtung bestanden, auf den elektronischen Rechtsverkehr hinzuweisen.

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogene Leistungsakte verwiesen.

Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung mit Gerichtbescheid nach § 105 SGG angehört worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig; auch mit der Verwerfung eines Widerspruchs als unzulässig ist das für die Bescheidungsklage nötige Vorverfahren durchgeführt worden.

Die Klage ist aber nicht begründet. Der Beklagte verweist zu Recht auf die Bestandskraft bzw. Bindungswirkung des Bescheides vom 14.12.2018, da der Widerspruch nicht fristgemäß erhoben wurde und Wiedereinsetzungsgründe nicht vorliegen.

Nach einhelliger Auffassung ist eine Rechtsbehelfsbelehrung auch dann unrichtig - mit der Folge der Eröffnung der einjährigen Widerspruchsfrist nach § 66 Abs. 2 SGG -, wenn sie unvollständig verfasst wird.

Unvollständig im genannten Sinn wäre die hier zu beurteilende Rechtsbehelfsbelehrung, wenn der Beklagte den nach § 84 SGG in der seit 1.1.2018 geltenden Fassung möglichen, elektronischen Zugangsweg nach § 36a Abs. 2 SGB I eröffnet hätte, ohne hierüber zu belehren (insoweit zutreffend SG Be...

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