Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilhabe am Arbeitsleben. Kraftfahrzeughilfe. Übernahme der Kosten für die Erlangung einer Fahrerlaubnis. Vorrang der Nutzung eines Beförderungsdienstes
Leitsatz (amtlich)
Regelleistungen der Kraftfahrzeughilfe (§ 2 Abs 1 KfzHV) dürfen nicht unter Verweis auf die Möglichkeit der Nutzung eines kostengünstigeren Beförderungsdienstes, der vom Rehabilitationsträger selbst gefördert wird, abgelehnt werden.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2007 verurteilt, der Klägerin Leistungen zur Erlangung einer Fahrerlaubnis zu gewähren.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme von Kosten für die Erlangung einer Fahrerlaubnis nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung (KfzHV).
Die 1986 geborene schwerbehinderte Klägerin leidet an einer spinalen Muskelatrophie (Muskelschwund) und ist auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Sie hat einen Schwerbehindertenausweis, der ihr einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen “aG„ (außergewöhnliche Gehbehinderung) und “H„ (Hilflosigkeit) bescheinigt.
Die Klägerin absolvierte in der Zeit vom September 2004 bis August 2007 eine Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen bei dem Berufsbildungswerk im O... gGmbH in P. Diese Ausbildung wurde seitens der Beklagten durch Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, u. a. durch die Bewilligung von Ausbildungsgeld, gefördert. Während der Ausbildungszeit gelangte die Klägerin durch einen von der Beklagten bezuschussten Beförderungsdienst von ihrer Wohnung zu dem Ausbildungsbetrieb.
Die Klägerin beantragte im Juni 2006 die Gewährung von Leistungen der Kraftfahrzeughilfe in Form eines Zuschusses zu den Kosten der Fahrausbildung und des Erwerbs der Fahrerlaubnis. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Februar 2007 ab. Zur Begründung führte sie an, dass die Klägerin zwar aufgrund ihrer Behinderung auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen sei, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen. Allerdings sei die Übernahme von Beförderungskosten wirtschaftlicher als die Übernahme der Kosten für die Finanzierung der Fahrerlaubnis und die Anschaffung eines behinderungsgerechten Kraftfahrzeugs. Die Beförderung koste in fünf Jahren 73.375,00 Euro (15.075,00 pro Jahr), während für die Finanzierung eines Führerscheins und eines Pkws ca. 119.000,00 Euro aufgebracht werden müssten. Es werde daher gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KfzHV weiterhin ein Zuschuss zu den Beförderungskosten gewährt.
Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin am 06. März 2007 Widerspruch ein. Ihren Widerspruch begründete sie damit, dass im Hinblick auf das bevorstehende Ende ihrer Ausbildung zumindest die Führerscheinskosten übernommen werden müssten, da sie nach Ausbildungsabschluss für den Einstieg ins Berufsleben unbedingt auf einen Führerschein angewiesen sei.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2007 zurück und verwies dabei im Wesentlichen auf ihre Begründung im Ablehnungsbescheid.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 04. April 2007 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und verfolgt damit ihr Begehren weiter. Zur Klagebegründung macht sie im Wesentlichen geltend:
Ihr stehe ein Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe nach der Kraftfahrzeughilfeverordnung (KfzHV) zu. Da sie sich ein gebrauchtes Fahrzeug im Wert von max. 15.000 Euro beschaffen wolle und über einen geeigneten Elektrorollstuhl bereits verfüge, fielen Kosten in Höhe von lediglich ca. 80.000 Euro an. Die Beklagte habe bei ihrer Berechnung die Vergleichswerte falsch gewichtet. Die Kosten für den Führerschein seien auf ihre gesamte Lebensarbeitszeit umzulegen und die Verbesserung der Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Zur Ausübung ihrer seit dem 01. September 2007 aufgenommenen Arbeitstätigkeit als kaufmännische Angestellte bei ihrem neuen Arbeitgeber sei sie auf einen Wagen dringend angewiesen. Der Arbeitgeber erwarte von ihr die Flexibilisierung der Arbeitszeiten und auch ihren Einsatz in Außenterminen, was durch den Beförderungsdienst nicht gewährleistet werden könne. Für ihren Arbeitgeber stelle das eine schwere wirtschaftliche Belastung dar, die nicht mehr erträglich sei. Ihr Interesse am Erwerb einer Fahrerlaubnis und eines Wagens habe Vorrang, da sie auch nach Beendigung ihres aktuellen Arbeitsverhältnisses einen Führerschein benötige und als Rollstuhlfahrerin nur eingeschränkt mobil sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2007 zu verurteilen, ihr Leistungen zur Erlangung einer Fahrerlaubnis zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich zunächst auf ihre Begründung in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend trägt sie vor:
Die Kosten für den Beförderungsdienst bet...