Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Nadel-Epilation zur Behandlung von männlichem Bartwuchs bei Transsexualismus. ärztliche Leistung. Systemversagen. Kostenübernahme bei Inanspruchnahme von privatärztlichen Leistungen. keine Kostenübernahme bei Inanspruchnahme nichtärztlicher Leistungserbringer
Leitsatz (amtlich)
1. Die Nadel-Epilation zur Behandlung von männlichem Bartwuchs bei Transsexualismus (Mann-zu-Frau) ist eine ärztliche Leistung.
2. Ist die Krankenkasse nicht in der Lage, einen leistungsbereiten Vertragsarzt zu benennen, liegt ein Systemversagen vor.
3. Zur Überwindung dieses Systemversagens dürfen allein privatärztliche Leistungen in Anspruch genommen werden und begründen einen Kostenübernahmeanspruch auch vorab.
4. Die Inanspruchnahme nichtärztlicher Leistungserbringer ist für die Erbringung der Nadel-Epilation auch im Fall des Systemversagens nicht zulässig und kann keinen Kostenübernahmeanspruch nach § 13 Abs 2 oder 3 SGB 5 begründen (Abweichung zu Urteil des LSG Essen vom 8.5.2014 - L 16 KR 453/12 und Urteil des SG Berlin vom 15.3.2016 - S 51 KR 2136/13).
Tenor
Die Beklagte wird in Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 26. November 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2015 verurteilt, der Klägerin über die bereits bewilligten Kosten von 69,24 Euro pro Behandlungsstunde hinaus für die benötigte dauerhafte Haarentfernung im Gesicht mittels ärztlich angeordneter und ärztlich verantworteter Epilationsbehandlung für 50 Stunden weitere 86,76 Euro und für 50 Stunden im Übrigen 156,00 Euro pro Stunde, damit insgesamt für 100 Stunden, gemäß der ärztlichen Verordnung vom 17. Oktober 2014 zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Epilation als Behandlung im Rahmen geschlechtsangleichender Maßnahmen Mann zu Frau.
Die 1952 geborene, bei der Beklagten Versicherte, beantragte am 30.9.2014 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Bartwuchsentfernung im Rahmen der geschlechtsangleichenden/-umwandelnden Maßnahmen (Mann zu Frau).
Dabei übersandte sie neben einem ärztlichen Attest, wonach eine Nadelepilation des noch ausgeprägten Bartwuchses im Rahmen der Transsexualität empfohlen wurde, zwei Kostenvoranschläge über die Durchführung einer Nadelepilation über 50 Stunden der D. GmbH & Co KG zu einem Gesamtpreis von 7.800 Euro sowie der Elektrologistin B. zu einem Gesamtpreis von 18.000 Euro für 150 Stunden zu einem Stundenpreis von 120,00 Euro.
Mit formlosen Schreiben vom 2.10.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Epilationsbehandlung mit Elektrokoagulation bei krankhaftem und entstellendem Haarwuchs in den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung falle und grundsätzlich von dem behandelnden Arzt über die TK-Gesundheitskarte abgerechnet werden könne.
Bei den vorgelegten Kostenvoranschlägen für die Elektrokoagulation handele es sich nicht um Leistungserbringer, die über eine Kassenzulassung verfügten. Eine Kostenübernahme durch die Beklagte sei daher nicht möglich; sollte eine Nadelepilation bei einem Vertragspartner nicht möglich sein, prüfe die Beklagte gerne die Kostenübernahme bei einem Nichtvertragspartner. Voraussetzung sei, dass die Behandlung durch einen Arzt durchgeführt werde. Die maximale Erstattung betrage 69,24 Euro, hierbei handele es sich um einen Vertragssatz. Die Beklagte benötige zur Prüfung eine ärztliche Verordnung mit Angabe der Anzahl der voraussichtlichen Behandlungen, einen ärztlichen Bericht über die aktuelle Situation, aktuelle Fotos und einen entsprechenden Kostenvoranschlag.
Die Klägerin übersandte Fotos, eine ärztliche Verordnung vom 17.10.2014 über die Behandlung mit einer Nadelepilation im Umfang von 100 Sitzungen à 60 Minuten (Dr. K.) sowie ein ärztliches Attest des behandelnden Hautarztes Dr. K., wonach die überwiegende Mehrzahl der Haare, die dunkel gewesen seien, in 12 Sitzungen erfolgreich mit einem Laser-Epilierer entfernt worden seien, es bestünden noch graue und weiße Haare, diese könnten mit dem Laser-Epilierer nicht entfernt werden, sondern bedürften der Nadelepilation. Dabei handele es sich um eine ursprünglich vertragsärztliche Leistung, sie werde aber von vertragsärztlichen Dermatologen nicht mehr angeboten. Im Fall der Klägerin sei eine Nadelepilation indiziert. Aus Sicht des Arztes seien mindestens 100 Stunden notwendig, um ein befriedigendes Ergebnis zu erreichen. Die vorliegende Ausprägung der Hypertrichose sei mit der Identität einer Frau nicht vereinbar und damit krankheitswertig.
Die Klägerin teilte der Beklagten ergänzend mit, seitens der Praxis von Dr. B., die ihr von der Beklagten als Leistungserbringer für die Behandlung benannt worden sei, sei mitgeteilt worden, dass das vorhandene Epilationsgerät defekt sei, irreparabel und auch kein neues angeschafft würde.
Da mithin keine Behandlung bei einem Vertragsarzt möglich sei, damit eine Versorgungslücke bestehe, bitte sie um Kostenübernahme eine...