Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Zugehörigkeit zur gemischten Bedarfsgemeinschaft. Altersrentenbezug und längere stationäre Unterbringung des Ehegatten. kein dauerndes Getrenntleben der Ehegatten bei fehlendem Trennungswillen. Einkommensberücksichtigung und -verteilung. keine Unterhaltspflicht bei drohender Sozialhilfebedürftigkeit
Leitsatz (amtlich)
Leistungen nach dem SGB 2 können dann nicht unter Hinweis auf die Unterhaltsverpflichtung eines Angehörigen versagt werden, wenn und soweit dieser infolge der Unterhaltsleistung selbst sozialhilfebedürftig würde.
Orientierungssatz
1. Eine Bedarfsgemeinschaft von Ehegatten iS des SGB 2 kann auch bei Ehen ohne gemeinsamen räumlichen Lebensmittelpunkt vorliegen. Für die Annahme "dauernden Getrenntlebens" muss gemäß familienrechtlichen Grundsätzen zur räumlichen Trennung ein nach außen erkennbarer Trennungswille eines Ehegatten zur Lösung des einvernehmlich gewählten Ehemodells hinzutreten (vgl BSG vom 18.2.2010 - B 4 AS 49/09 R = BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16).
2. Bei sog gemischten Bedarfsgemeinschaften ist bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit von dem Einkommen des nicht leistungsberechtigten Mitglieds (hier eines Altersrentners) dessen eigener Bedarf nach dem SGB 2 abzuziehen. Der ungedeckte Gesamtbedarf wächst entgegen der Verteilungsregel in § 9 Abs 2 S 3 SGB 2 allein dem leistungsberechtigten Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu (vgl BSG vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R = SozR 4-4200 § 9 Nr 5).
Nachgehend
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2007 verurteilt, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01. November 2007 bis 30. April 2008 zu gewähren.
Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind erstattungsfähig.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Die 1949 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten am 5. November 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Ihr 1945 geborener Ehemann bezog eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung sowie eine Betriebsrente in Höhe von zusammen 1.439,08 € monatlich. Die Eheleute lebten jedenfalls bis zum 13. April 2007 gemeinsam in dem Haus H… Weg …, welches der Klägerin und ihrem Sohn jeweils zur Hälfte gehört. Die Klägerin hatte ihrem Sohn im Jahr 2004 seine Hälfte geschenkt. Das Grundstück ist mit einem lebenslänglichen dinglich gesicherten Wohnrecht zu Gunsten der Eheleute belastet.
Am 13. April 2007 erlitt der Ehemann einen Herzinfarkt. Er befindet sich seither im Wachkoma. Er wurde zunächst im Krankenhaus betreut und wird seit dem 17. Juli 2007 im Pflegeheim Haus K… in R…/Kreis M… O… versorgt. Der Betreuungsrichter des Amtsgerichts Köpenick stellte im Rahmen des Betreuungsverfahrens im Juni 2007 fest, dass eine Kommunikation mit dem Ehemann nicht möglich sei und der Arzt erklärt habe, dass dieser keine Reaktion auf Ansprache oder optische Annäherung zeige. Der Ehemann erhielt im streitgegenständlichen Zeitraum Renten in Höhe von zusammen 1.466,08 € monatlich sowie Pflegegeld in Höhe von 1.432,- € monatlich.
Die Klägerin gab in ihrem Antrag bei der Beklagten für sich und ihren Ehemann vom 05. November 2007 an, mit ihrem nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten zusammenzuleben.
Der Heimvertrag zwischen dem Pflegeheim Haus K… und dem Ehemann der Klägerin sieht ein Gesamtentgelt vor, welches sich im streitgegenständlichen Zeitraum aus dem Einzelentgelt für Unterkunft und Verpflegung (täglich 15,68 €), einem für Pflege (allgemeine Pflege, soziale Betreuung und medizinische Behandlungspflege 63,71 €) und einem für die nicht geförderten Investitionskosten von täglich 5,53 € + 4,97 € zusammensetzte, also insgesamt 89,89 € pro Tag (bei 30 Tagen 2.697,70 €).
Leistungen des Sozialhilfeträgers hat der Ehemann bislang nicht erhalten. Die Pflegekasse zahlte monatlich 1.432,- €, sodass das Pflegeheim vom Ehemann selbst 1.310,08 € monatlich verlangte.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 23. November 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2007 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin und ihr Ehemann bildeten eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II. Sie lebten zwar in unterschiedlichen Unterkünften, jedoch seien sie nicht dauerhaft getrennt, da eine lediglich krankheitsbedingte räumliche Trennung für die Feststellung eines dauernden Getrenntlebens nicht ausreiche. Dem Ehemann stünden gemäß § 7 Abs. 4 SGB II als Bezieher einer Altersrente Leistungen nach dem SGB II nicht zu. Der Bedarf der Bedarfsgemeinschaft betrage zwei mal 90 % des Regelsatzes gemäß § 20 Abs. 3 SGB II bzw. gemäß § 28 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) i. V. m. der Regelsatzverordnung, also 2 x 312,- € = 624,- ...