Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhaus. Berechtigung zur Erbringung mindestmengenbelegter Leistungen. Anfechtungsklage als richtige Klageart. keine Anhörung vor Erlass der Widerlegungsentscheidung. begründete Zweifel an Prognose

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Berechtigung zur Erbringung mindestmengenbelegter Leistungen ist keine positive Leistungsentscheidung der Landesverbände erforderlich. Richtige Klageart gegen die Widerlegungsentscheidung ist die Anfechtungsklage. Eine Anhörung vor Erlass der Widerlegungsentscheidung ist nicht erforderlich.

2. Zweifel an der Prognose des Krankenhauses sind begründet, wenn sie nicht nur auf Vermutungen beruhen, sondern sich auf konkrete Tatsachen stützen oder aus Tatsachen ableitbar sind. Die Zweifel sind erheblich, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Prognose unrichtig ist, mithin von den Tatsachengrundlagen und mitgeteilten Umständen nicht getragen wird.

3. Schwächen in der Prognosebegründung oder das Fehlen von Nachweisen zum Beleg der vorgetragenen Einzelfallumstände machen nicht die Prognose formunwirksam, sondern senken die Anforderungen an die Begründung der Zweifel bei der Widerlegungsentscheidung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.03.2021; Aktenzeichen B 1 KR 16/20 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Klägerin, im Jahr 2020 unter die Mindestmengenregelung fallende Leistungen erbringen und abrechnen zu dürfen.

Die Klägerin ist Trägerin des zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zugelassenen Krankenhauses E. Sie versorgt gesetzlich Versicherte in diesem Krankenhaus u.a. mit Kniegelenks-Totalendoprothesen (im folgenden Knie-TEP). Die Beklagten zu 1) bis 6) sind die Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen im Land Berlin.

Mit Beschluss vom 18. Dezember 2014 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) auf Grundlage von § 136b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) für zugelassene Krankenhäuser im Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, die Mindestmenge für die Versorgung mit Knie-TEP in Vollzug gesetzt und als Mindestmenge die Fallzahl von 50 festgelegt (Mindestmengenregelung - MmR; BAnz AT vom 31. Dezember 2014 B 11). Die MmR wurde mit Beschluss des GBA vom 21. März 2016 ohne Abweichung in der Mindestmenge für Knie-TEP geändert.

Im Krankenhaus der Klägerin wurden im Jahr 2017 insgesamt 52 Patientinnen und Patienten mit einer Knie-TEP versorgt. Auf das erste Halbjahr entfielen 27, auf das zweite Halbjahr 25 Knie-TEP-Operationen. Im 2. Halbjahr 2017 und 1. Halbjahr 2018 erfolgten insgesamt 47 Versorgungen mit Knie-TEP, wobei auf das 1. Halbjahr 2018 22 Fälle entfielen.

Im Juli 2018 übermittelte die Klägerin den Beklagten die Fallzahlen für Knie-TEP aus dem Jahr 2017 sowie dem 2. Halbjahr 2017 und 1. Halbjahr 2018. Sie benannte als Grund für den Rückgang der Zahlen einen bevorstehenden Wechsel des Chefarztes zur Jahresmitte 2018. Zugleich prognostizierte sie das Erreichen der Mindestmenge im Jahr 2019. Zum 1. August 2018 nahm Dr. Z die Tätigkeit als neuer Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im Krankenhaus der Klägerin auf. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2018 bestätigten die Beklagten die Mindestmengenprognose der Klägerin für die Erbringung von Knie-TEP im Jahr 2019. Zur Begründung führten sie aus, auch wegen der Angaben zur personellen Veränderung sei davon auszugehen, dass die Mindestmengenvorgabe für Knie-TEP erreicht werde.

Im Jahr 2018 wurden im Krankenhaus der Klägerin insgesamt 40 Patientinnen und Patienten mit einer Knie-TEP versorgt. Auf das erste Halbjahr entfielen 22, auf das zweite Halbjahr 18 Knie-TEP-Operationen. Im 2. Halbjahr 2018 und 1. Halbjahr 2019 erfolgten insgesamt 43 Versorgungen mit Knie-TEP, wobei auf das 1. Halbjahr 2019 25 Fälle entfielen.

Mit Schreiben vom 8. Juli 2019 übermittelte die Klägerin der Beklagten schriftlich die Mindestmengenprognose für das Jahr 2020. Hierfür nutzte sie die von GBA beschlossene Spezifikation und übermittelte die Daten in maschinenlesbarer Form unter Angabe des Standortkennzeichens ihres Krankenhauses. In der Mindestmengenprognose erklärte sie unter Ziffer 6. „Kniegelenk-Totalendoprothese pro Krankenhaus (Betriebsstätte)“ im Jahr 2018 insgesamt 40 Patienten mit Knie-TEP versorgt und im 2. Halbjahr 2018 und 1. Halbjahr 2019 insgesamt 43 Versorgungen mit Knie-TEP durchgeführt zu haben. Für das Jahr 2020 prognostizierte sie mehr als 50 Versorgungsfälle.

Im Weiteren erklärte die Klägerin in den vier weiteren Angabefeldern:

Personelle Veränderungen, die eine berechtigte Mindestmengenerwartung für 2020 begründen:

„Chefarzt-Wechsel zum 3. Quartal 2018“

Strukturelle Veränderungen, die eine berechtigte Mindestmengenerwartung für 2020 begründen:

„-“

Weitere Umstände zur Begründung der be...

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