Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Beratungshilfeanspruch. Erstattung von Vorverfahrenskosten. gesetzlicher Forderungsübergang auf den Rechtsanwalt. Unzulässigkeit der Aufrechnung
Orientierungssatz
Sind nach Inanspruchnahme von Beratungshilfe durch einen Leistungsempfänger nach dem SGB 2 die Voraussetzungen des gesetzlichen Forderungsübergangs auf den Rechtsanwalt gem § 9 S 2 BerHG, der auch einen Kostenerstattungsanspruch gem § 63 SGB 10 für die Vertretung in einem isolierten Vorverfahren erfasst, erfüllt und macht der Rechtsanwalt die Forderung direkt beim Grundsicherungsträger geltend, so ist eine Aufrechnung mit noch bestehenden Forderungen gegenüber dem Leistungsempfänger mangels Gleichartigkeit der Forderungen unzulässig.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 108,83 Euro zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Aufrechnung des Beklagten gegen einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung ihrer Kosten für ein sog. isoliertes Vorverfahren.
Die Klägerin vertrat Frau E. H. sowie deren Tochter S. S. E., denen Beratungshilfe gewährt worden war, in einer Angelegenheit des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II). Dabei reichte die Klägerin gegen einen Änderungsbescheid vom 24. Oktober 2014 Widerspruch ein.
Dem Widerspruch half der Beklagte mit Bescheid vom 17. Dezember 2014 ab und übernahm die Kosten des Widerspruchsverfahrens.
Die Klägerin beantragte am 19. Dezember 2014 die Erstattung von 487,90 Euro im eigenen Namen. Es sei Beratungshilfe gewährt worden. Der Anspruch sei daher auf Grund von § 9 Beratungshilfegesetz (BerHG) auf sie übergegangen. Mit Schreiben vom 15. Januar 2015 teilte der Beklagte mit, dass er eine Aufrechnung prüfe und bat um Mitteilung, ob Beratungshilfe gewährt worden sei. Die Klägerin teilte daraufhin erneut mit, dass dies geschehen sei.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2015 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er gegen den Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 487,90 Euro mit bestandskräftigen Forderungen gegen Frau E. H. in Höhe von 92,95 Euro, 9,72 Euro und 6,16 Euro aufrechne. Die Aufrechnung sei trotz des gesetzlichen Forderungsübergangs gemäß § 9 BerHG zulässig. Nur in den in § 43 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) geregelten Fällen sei eine Aufrechnung durch die Staatskasse unwirksam. Die Aufrechnung entspreche auch dem Interesse der Mandanten, die von einer Verbindlichkeit befreit würden.
Mit Schreiben vom 22. Januar 2015 legte die Klägerin gegen die Aufrechnung Widerspruch ein. Das Bestehen einer fälligen Forderung werde mit Nichtwissen bestritten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2015 (W 332/15) verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Die Aufrechnung stelle als reine Erfüllungshandlung keinen Verwaltungsakt dar. Die Erklärung werde nicht aus hoheitlicher Position abgegeben. Sie erfolge nicht mit hoheitlichen Mitteln.
Am 23. Februar 2015 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben.
Die Aufrechnung verstoße gegen ihre Berufsfreiheit. Die von Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Freiheit, einen Beruf auszuüben, sei unmittelbar mit der Freiheit verbunden, eine angemessene Vergütung zu fordern. Durch die Aufrechnung erhalte sie erheblich weniger als die vom Gesetzgeber als angemessen angesehene Entschädigung. Zudem bestünden auf Grund von § 8 Abs. 2 BerHG keine Vergütungsansprüche gegenüber dem Mandanten. Die Situation sei nicht vergleichbar mit der eines Gläubigers, welcher eine mit einer Aufrechnungsmöglichkeit bemakelte Forderung erwirbt. Denn ein Anwalt sei gezwungen, ein Mandat anzunehmen, wenn die Voraussetzungen für Beratungshilfe gegeben sind. Es sei ihm auch versagt, weitere Gebührenvereinbarungen zu schließen über die Gebühren der Beratungshilfe hinaus, vgl. § 8 Abs. 2 BerHG.
Vorliegende Problematik sei deshalb nicht in das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz aufgenommen worden, da davon ausgegangen worden sei, dass dies nicht notwendig sei, da eine Aufrechnung nicht in Betracht komme.
Es fehle auch an einer Aufrechnungslage. Insofern verweist die Klägerin auf LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Mai 2015, L 6 AS 288/13. Es stünden sich ein Zahlungsanspruch des Beklagten und ein Freistellungsanspruch der Widerspruchsführer gegenüber. Auch das BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014, B 4 AS 60/13 R sei davon ausgegangen, dass der Leistungsempfänger einen Anspruch auf Freistellung von der Begleichung anwaltlicher Gebühren habe.
Die Aufrechnungslage müsse bereits vor dem Übergang der Forderung gegenüber dem Mandanten bestanden haben. Denn es sei gerade nicht Sinn des § 406 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sicherzustellen, dass Forderungen aufgerechnet werden können, die erst in der Person, welche die Forderung übernommen hat, überhaupt aufrechenbar seien.
Die Klägerin beantragt,
den Aufrechnungsbescheid vom 20. Januar 2915 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2015 aufzuh...