Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung von Vorverfahrenskosten. Beratungshilfe. gesetzlicher Forderungsübergang auf den Rechtsanwalt. Unzulässigkeit der Aufrechnung
Leitsatz (amtlich)
Nach einem gesetzlichen Forderungsübergang des Kostenerstattungsanspruchs gem § 63 SGB 10 im Rahmen der Beratungshilfe nach § 9 S 2 BerHG (juris: BeratHiG) auf den Rechtsanwalt ist eine Aufrechnung des Jobcenters mit Ansprüchen gegen den Leistungsempfänger unzulässig. Sowohl die Voraussetzung der Gegenseitigkeit als auch die der Gleichartigkeit der Forderungen ist nicht gegeben.
Orientierungssatz
Az beim LSG: L 20 AS 1375/18.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 273,69 Euro für die Kosten des Widerspruchsverfahrens W 1864/17 zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Gebühren des Klägers für die Vertretung eines Leistungsempfängers im Widerspruchsverfahren.
Der Kläger ist Rechtsanwalt. Er wurde am 11. April 2017 von seinem Mandanten, Herrn K. D., der Leistungen vom Beklagten bezieht, beauftragt, ihn im Widerspruchsverfahren gegen den Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 20. März 2017 zu vertreten. Der Mandant Herr D. legte dafür einen Beratungshilfeschein vor.
Am 11. April 2017 legte der Kläger daraufhin Widerspruch gegen den Bescheid des Beklagten vom 20. März 2017 ein, der zur Widerspruchsnummer ...../17 registriert wurde.
Mit Abhilfebescheid vom 1. Juni 2017 hob der Beklagte den Bescheid vom 20. März 2017 auf und entschied, die Kosten des Widerspruchsführers zu erstatten, sowie dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes im Widerspruchsverfahren notwendig war.
Am 2. Juni 2017 beantragte der Kläger die Festsetzung seiner Rechtsanwaltsgebühren für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 380,80 Euro. Er machte die Gebühren im eigenen Namen unter Hinweis auf die bewilligte Beratungshilfe geltend.
Mit Schreiben vom 5. Juli 2017 erkannte der Beklagte die Gebühren an. Mit Schreiben vom selben Tage, das er ausschließlich an den Kläger sandte, erklärte er die Aufrechnung mit einer Forderung gegen den Leistungsempfänger und Mandanten des Klägers aus einem Bescheid vom 8. September 2014 in Höhe von 273,69 Euro. Dies begründete er unter anderem damit, dass die Aufrechnung mit Ansprüchen gegen den Mandanten gegenüber dem Rechtsanwalt allein in Straf- und Bußgeldsachen durch § 43 RVG begrenzt sei, dieser aber nicht im sozialgerichtlichen Verfahren gelte. Auch entstehe dem Leistungsempfänger kein Nachteil, weil er von einer Forderung befreit werde, aber der Kläger keine weitere Forderung gegen ihn hätte. Das Interesse des Klägers an seiner Vergütung müsse zurückstehen, da dieser die Vergütung nach BerHG i.V.m. § 44 RVG erhalte und nur Rechtsinhaber aus abgetretenem Recht sei.
Am 25. Juli 2017 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er die Auszahlung der 273,69 Euro begehrt.
Der Kläger trägt vor, dass ihm ein Anspruch auf Auszahlung der gesamten Gebühren aus § 9 Abs. 2 Beratungshilfegesetz (BerHG) und § 63 SGB X zustehe. Der Beklagte könne nicht wirksam ihm gegenüber mit einer Forderung gegen den Leistungsempfänger aufrechnen, es fehle schon einer Aufrechnungserklärung gegenüber dem Leistungsempfänger. Weiter fehle es an einer Aufrechnungslage. Es fehle schon daran, dass sich die Forderungen gegenüberstanden. Denn die Gewährung von Beratungshilfe führe nach § 9 S. 2 BerHG dazu, dass der Vergütungsanspruch beim Rechtsanwalt entstehe. Gegen den Kläger habe der Beklagte jedoch keine Forderung. Anders als bei § 43 RVG handele es sich um einen gesetzlichen Forderungsübergang. Der Kläger verweist auf die Urteile des LSG Berlin-Brandenburg vom 13. Oktober 2016, L 31 AS 1774/16 und des SG Berlin vom 9. März 2016, S 190 AS 3757/15, in denen die Möglichkeit der Aufrechnung mit Forderungen des Leistungsempfängers gegenüber dem Rechtsanwalt für rechtswidrig erklärt worden sei.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 273,69 Euro zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, dass er dem Urteil des SG Berlin vom 9. März 2016 nicht folge. Durch den Forderungsübergang nach § 9 BerHG mache der Kläger keinen Freistellungsanspruch, sondern einen eigenen Anspruch geltend. Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 13. Oktober 2016 befasse sich mit einem Fall, in dem kein Forderungsübergang nach BerHG eingetreten sei. Die Aufrechnung sei im Falle des gesetzlichen Forderungsübergangs nach §§ 412, 406 BGB zulässig. Aufgrund des Forderungsübergangs mache der Kläger einen eigenen Zahlungsanspruch geltend, der dem Anspruch des Beklagten gegen den Leistungsempfänger gegenüberstehe. Die Gleichartigkeit der Forderungen müsse nicht im Zeitpunkt der Abtretung vorliegen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gericht...