Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II und Sozialgeld. Verfassungsmäßigkeit der Neubemessung der Regelbedarfe. Einkommensberücksichtigung. Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Anrechnungsfreiheit des Elterngeldes ab 1.1.2011. Bildungs- und Teilhabeleistungen. keine Gewährung von Schulgeld für den Besuch einer Waldorfschule

 

Orientierungssatz

1. Die Neubemessung der Regelbedarfe in der ab 1.1.2011 geltenden Fassung der §§ 20, 23 iVm § 77 Abs 4 SGB 2 entspricht auch unter Berücksichtigung des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

2. Die Berücksichtigung des Elterngeldes als Einkommen iS des § 11 Abs 1 S 1 SGB 2, welche durch die Abschaffung des § 11 Abs 3a SGB 2 und die Einführung des § 10 Abs 5 BEEG zum 1.1.2011 herbeigeführt wurde, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Elterngeld stellt auch keine zweckbestimmte Einnahme iS des § 11a Abs 3 S 1 SGB 2 nF dar.

3. Schulgeld für den Besuch einer allgemeinbildenden Privatschule gehört nicht zum Bedarf, der durch die Regelleistung sicherzustellen ist. Der Bedarf an Schulbildung wird durch die unentgeltlichen öffentlichen Regelschulen ausreichend gedeckt. Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen nur in Betracht, wenn der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven Gründen (zB wegen der Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden persönlichen Gründen nicht möglich oder zumutbar ist.

4. Aus den Vorschriften über Bildungs- und Teilhabeleistungen gem § 28 SGB 2 lässt sich kein Anspruch auf Schulgeld ableiten. Neben Leistungen für die Schülerfahrkarte oder die Mittagsverpflegung sind hier insbesondere nur Gegenstände der persönlichen Schulausstattung wie Schulranzen, Sportzeug, Zeichen-, Rechen- und Schreibmaterialien umfasst. Darüber hinaus besteht ein Anspruch nur auf außerschulische Lernförderung durch vorübergehenden Nachhilfeunterricht, der unmittelbare schulische Angebote allerdings lediglich ergänzen soll.

 

Tenor

1. Urteil: Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar 2011 bis 31. Juli 2011. Sie wenden sich gegen die Anrechnung von Elterngeld sowie die Nichtberücksichtigung von Schulgebühren für den Besuch einer Privatschule und rügen die Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfe und der Anrechnung von Elterngeld.

Der am … 2000 geborene Kläger zu 2) und die am geborene Klägerin zu 3) sind die Kinder der 1972 geborenen, alleinig sorgeberechtigten Klägerin zu 1). Sie stehen im laufenden Leistungsbezug des Beklagten. Die Kläger bewohnen die im Rubrum bezeichnete Wohnung. Die Bruttowarmmiete beträgt 470,71 Euro.

Mit Bescheid vom 26. April 2010 bewilligte das Bezirksamt Berlin-Mitte der Klägerin zu 1) Elterngeld in Höhe von 300 Euro monatlich für die Zeit vom März 2010 bis Februar 2011, das der Klägerin zu 1) letztmalig am 10. Februar 2011 zugeflossen ist (Kontoauszug vom 13. Februar 2011). Auf Seite 2 des Bescheides heißt es, dass das Elterngeld in Höhe von 300 Euro nicht auf andere Sozialleistungen angerechnet wird. Vor der Geburt der Klägerin zu 3) erzielte die Klägerin zu 1) kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit.

Die Kläger zu 2) und 3) erzielen jeweils Einkommen aus Kindergeld in Höhe von 184 Euro monatlich. Der Kindsvater der Kläger zu 2) und 3), Herr T… R…, lebt nicht in der Bedarfsgemeinschaft der Kläger.

Der Kläger zu 2) besucht die J…-Schule, eine Waldorf-Schule in C…-W…, für das ein monatliches Schulgeld von 90 Euro zu zahlen ist.

Mit vorläufigem Bescheid vom 17. Januar 2011 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes für Alleinerziehende und eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen für die Klägerin zu 1) sowie unter Anrechnung von Einkommen aus Kindergeld bei den Klägern zu 2) und 3) für die Zeit vom

- 1. Februar 2011 bis 28. Februar 2011 in Höhe von 797,39 Euro unter Anrechnung des um die Versicherungspauschale bereinigten Elterngeldes und

- 1. März 2011 bis 31. Juli 2011 in Höhe von 1.067,39 Euro monatlich.

Dabei erkannte der Beklagte Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 455,83 Euro an.

Gegen den Bescheid vom 17. Januar 2011 legten die Kläger, die Kläger zu 2) und 3) vertreten durch den Kindvater, am 23. Januar 2011 Widerspruch ein. Das Elterngeld stehe alleinig der Klägerin zu 1) zu und dürfe nicht auf den Bedarf der Kläger angerechnet werden, da das entsprechende Gesetz noch nicht in Kraft getreten sei. Die Anrechnung verstoße gegen das Rückwirkungsverbot und sei verfassungswidrig, die Klägerin zu 1) habe auf die Nichtanrechnung vertraut. Wenn überhaupt, könne eine Anrechnung nur dergestalt erfolgen, dass das Elterngeld auf den Bedarf der Klägerin zu 1), nicht jedoch auf den Bedarf der Kläger zu 2) und 3) anzurechnen sei, da Sozialleistungsansprüche Individua...

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