Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungen für Bildung und Teilhabe. Babyschwimmkurs. kein Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses bei Umstellung der Klage auf eine auf Kostenerstattung zielende Zahlungsklage. weite Auslegung des Begriffs "Mitgliedsbeitrag". trotz Einbeziehung der Eltern keine Familienaktivität. Anspruch auf Kostenerstattung trotz Leistungserbringung als Sach- oder Dienstleistung bei rechtwidriger Ablehnung der Leistung. abweichender Bewilligungszeitraum. Ansparmöglichkeit. Anforderung einer Teilnahmebestätigung nur im Einzelfall
Leitsatz (amtlich)
1. Die Umstellung der ursprünglich auf Erbringung von Teilhabeleistungen nach § 28 Abs 7 SGB 2 zielende Leistungsklage auf eine auf Kostenerstattung gerichtete Zahlungsklage ist auch ohne Vorbefassung der Behörde mit der Erstattungsforderung zulässig.
2. Der Gutschein nach § 29 SGB 2 ändert nicht den Charakter der Teilhabeleistungen nach § 28 SGB 2 als Sach- bzw Dienstleistung, sondern hat die Funktion einer drittbegünstigenden Zusicherung der Anspruchsvoraussetzungen.
3. Bei rechtswidriger Verweigerung der Teilhabeleistungen nach § 28 Abs 7 SGB 2 sind die Kosten der sodann selbstbeschafften Leistung direkt dem Anspruchsberechtigten zu erstatten. Eine solche Kostenerstattungspflicht folgt aus dem grundrechtsverwirklichenden Charakter der Leistungen ebenso wie aus § 2 Abs 2 Halbs 2 SGB 1 und dem Prinzip der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art 20 Abs 3 GG).
4. Der Begriff "Mitgliedsbeitrag" in § 28 Abs 7 Nr 1 SGB 2 ist weit auszulegen und nicht in dem Sinne eng zu verstehen, dass nur die Mitgliedschaft in eingetragenen Vereinen und Verbänden gefördert werden soll. Vielmehr umfasst der Begriff sämtliche Gebühren und Beiträge für institutionell organisierte Aktivitäten, welche als Teilhabeangebote iS der Vorschrift anzuerkennen sind.
5. Die Einbeziehung der Eltern bei der sozialen und kulturellen Teilhabe von Kindern unter drei Jahren ist notwendig (zB beim Babyschwimmen) und verändert nicht den Charakter entsprechender Angebote als Teilhabeleistungen nach § 28 SGB 2, welche allerdings Familienaktivitäten (Kino, Museum, Zoo etc) nicht erfassen.
6. Eine Nachweisführung über die Teilnahme zu fordern, gestattet der Gesetzgeber den Behörden in Abweichung von dem nach §§ 20ff SGB 10 eingeräumten Ermessen bei der Sachverhaltsaufklärung nach § 29 Abs 4 SGB 2 nur in begründeten Einzelfällen.
7. Der Bewilligungszeitraum für Teilhabeleistungen nach § 28 SGB 2 kann von demjenigen der Grundsicherungsleistungen abweichen und beispielsweise das Schuljahr umfassen.
8. Sofern Angebote mit höheren Kosten als 10,00 EUR im Nutzungsmonat über mehrere Monate genutzt werden, kommt im Rahmen von Ansparmöglichkeiten die volle Übernahme der Kosten in Betracht, wenn die Angebote nicht in allen Monaten des Bewilligungszeitraumes genutzt werden.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 2. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2011 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Teilhabeleistungen bis 30. März 2012 in Höhe von 63,00 EUR zu zahlen.
3. Die Beklagte hat dem Kläger und dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Teilhabeleistungen nach § 28 Abs 7 SGB II für das vom Kläger bis März 2012 in Anspruch genommene Babyschwimmen und die Erstattung der dafür entstandenen Kosten.
Der im März 2011 geborene Kläger bezieht wie sein älterer Bruder Sozialgeld. Seine Mutter erhält Arbeitslosengeld II. Die Leistungen waren zunächst mit Bescheid vom 17. Mai 2011 bis September 2011 bewilligt worden. Mit Bescheid vom 9. September 2011 waren der Familie die Grundsicherungsleistungen von Oktober 2011 bis März 2012 bewilligt worden.
Die Mutter des Klägers beantragte mit Schreiben vom 30. Mai 2011 für ihre beiden Kinder Teilhabeleistungen rückwirkend und für die Zukunft. Sie bat um Mitteilung der Möglichkeiten, wie man den Gutschein auch ohne Verein einsetzen könne. Die Beklagte adressierte am 18. Juli 2007 eine Zwischenmitteilung an die Mutter des Klägers. Danach würde für Teilhabeleistungen bei Sportvereinen der Mitgliedsvertrag benötigt werden, sobald vorhanden. Sollte der Monatsbeitrag über 10 EUR liegen, werde um Bestätigung gebeten, dass die Differenz vom Kläger getragen werde. Mit Schreiben vom 19. August 2011 wandte sich die Mutter des Klägers erneut an die Beklagte und fragte, wie sie die Gelder beantragen müsse, wenn sie mit dem Kläger Babyschwimmen, Spielkurse nach PEKiP oder ähnliches machen wolle. Mit Schreiben vom 29. September 2011 erinnerte sie an die Beantwortung ihrer Anfragen.
Die Beklagte wies den Antrag mit Bescheid vom 2. November 2011 zurück. Trotz der Aufforderung vom 18. Juli 2011 habe die Mutter des Klägers keinen Mitgliedsvertrag für einen Verein für den Kläger eingereicht; auch eine Bestätigung über eine Teilnahme an einem Kurs für Babyschwimmen liege nicht vor.
Dagegen wandte sich der Kläge...