Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. kostenaufwändige Ernährung. Laktoseunverträglichkeit. Gutachten der Gesellschaft für Ernährung. Vollkost als Bestandteil des Regelbedarfs bei Erwachsenen. Mehrkosten für optimierte Mischkost bei Kindern. Ermittlung des Ernährungsanteils der Regelleistung für Kinder

 

Orientierungssatz

1. Mit welchen Kosten die Ernährungsform "Vollkost" für Erwachsene verbunden ist, hat der Deutsche Verein (DV) in einem Gutachten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung eV (DEG) "Lebensmittelkosten im Rahmen einer vollwertigen Ernährung" im April 2008 ermitteln lassen. Danach ist eine vollwertige Ernährung mit dem in der Regelleistung für Alleinstehende enthaltenen Anteil für Nahrungsmittel, Getränke, Alkohol und Tabakwaren (ca 130 €) zu bezahlen, "wenn über alle Lebensmittelgruppen zu einem Preis eingekauft wird, der etwa bei der 25. Perzentile liegt".

2. Im Rahmen der pauschalisierenden Bemessung der Regelleistungen des SGB 2 ist die Zuordnung des für Alkohol und Tabak vorgesehenen Anteils zur Finanzierung der Vollkost gerechtfertigt.

3. Zur Ermittlung des finanziellen Aufwands der für Kinder und Jugendliche benötigten Vollkost und des für die Ernährung enthaltenen Anteils in den Regelleistungen der "Kinder" in einer Bedarfsgemeinschaft.

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 31.7.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8.10.2009 verurteilt,

1) dem Kläger zu 3) bis zum 24.2.2010 monatlich 11 € und ab 25.2.2010 25 € als Mehrbedarf für Krankenkost zu gewähren,

2) der Klägerin zu 4) ab Februar 2009 monatlich 11 € als Mehrbedarf für Krankenkost zu gewähren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte erstattet 2/5 der außergerichtlichen Kosten.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Mehrbedarf für Krankenkost wegen einer Laktoseintoleranz.

Die Kläger beziehen als fünfköpfige Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus den beiden Eltern, den Klägern zu 1) und 2) und deren drei Kindern Y, geb. …1998 (Kläger zu 3), M, geb. ….2000 (Klägerin zu 4) und A, geb. …2001(Klägerin zu 5), Leistungen nach dem SGB II.

Am 19.2.2009 beantragte der Kläger zu 1) für die Kläger einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II, nachdem bei allen Familienangehörigen eine primäre Laktoseintoleranz festgestellt worden war. Die entsprechenden Formulare (MEB) waren im Juni 2009 eingereicht worden.

Unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Arbeitsagentur Mitte lehnte der Beklagte den Antrag ab. Bei einer Laktoseintoleranz falle kein Mehrbedarf für eine besondere Krankenkost an (Bescheid vom 31.7.2009, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 8.10.2009).

Mit der am 5. November 2009 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage machen die Kläger geltend, sie könnten die zur Gesunderhaltung notwendige Ernährung nicht aus den Regelleistungen bestreiten. Laktosefreie Lebensmittel seien durchweg teurer als vergleichbare Produkte aus dem Discounter.

Eine Reihe von Gerichten habe Mehrbedarfe zwischen 30 € und 70 € zuerkannt. Eine genaue Aufstellung der Mehrkosten anhand einer Einkaufsliste sei schwierig, weil das Geld für die Beschaffung der Krankenkost ja nicht zur Verfügung stehe.

Die Bevollmächtigte der Kläger beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.7.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8.10.2009 zu verurteilen, den Klägern ab 1.2.2009 einen angemessenen Mehrbedarf wegen einer Laktoseintoleranz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat den behandelnden Arzt der Kläger im Termin am 20.8.2010 als sachverständigen Zeugen gehört. Insoweit wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Des Weiteren hat das Gericht ein internistisches Gutachten aus Oktober 2010 beigezogen und in den wichtigsten Auszügen in das Klageverfahren eingebracht.

Zum übrigen Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Leistungsakten und die ärztlichen Bescheinigungen vom 7.10. und 24.9.2010 verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer schriftlichen Entscheidung nach § 124 SGG einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Streitgegenstand ist allein ein Anspruch der Kläger auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II, der jedenfalls in Bedarfsgemeinschaften ohne horizontal zu verteilendes Einkommen, wie hier, als abgrenzbarer Teil des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes eigenständig geltend gemacht werden kann (vgl. dazu LSG Sachsen vom 27.8.2009 - L 3 AS 245/08; SG Berlin vom 4.1.2010 - S 128 AS 37434/08).

Da über eine generelle Ablehnung dieses Anspruchs zu entscheiden ist, erstreckt sich die Klage auf den Zeitraum Februar 2009 bis zur Entscheidung des Gerichts im November 2010.

Die insoweit zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Zwar leiden alle Kläger an einer Laktoseintoleranz, für die aufgrund dieser Unverträglichkeit medizinisch empfohlene Vollkosternährung e...

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