Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung. geschlechtsangleichende Operation bei Mann-zu-Frau-Transidentität. Plankrankenhaus. Bestimmung des genauen Inhalts des Versorgungsauftrags unter Heranziehung der landesrechtlichen Weiterbildungsordnung. Fachgebiet Urologie
Orientierungssatz
1. Der Versorgungsauftrag eines Plankrankenhauses ergibt sich aus den Festlegungen des Krankenhausplans in Verbindung mit den Bescheiden zu seiner Durchführung (stRspr.; vgl BSG vom 9.4.2019 - B 1 KR 2/18 R = juris RdNr 11-12).
2. Die Festlegung allein des Fachbereichs ist für sich genommen zu wenig aussagekräftig, um den genauen Inhalt des Versorgungsauftrags des Krankenhauses zu bestimmen. Hinsichtlich der Fachgebietsgrenzen ist daher eine weitere Konkretisierung dadurch möglich, dass ergänzend die in den Krankenhausplänen regelmäßig in Bezug genommenen landesrechtlichen Weiterbildungsordnungen zur Auslegung herangezogen werden (vgl BSG vom 19.6.2018 - B 1 KR 32/17 R = BSGE 126, 87 = SozR 4-2500 § 108 Nr 5 RdNr 13).
3. Für die Auslegung der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Berlin ist bei Mann-zu-Frau-Transidentität neben der rechtlichen Einordnung auch die ursprüngliche biologische Einordnung heranzuziehen, sodass eine geschlechtsangleichende Behandlung (Aufbau einer künstlichen Vagina) auch in das Fachgebiet Urologie fällt. Dies gilt sowohl bei erstmaligen geschlechtsangleichenden Operationen als auch bei rekonstruktiven Behandlungen.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.216,87 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. August 2018 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Vergütungsanspruch nach einer Krankenhausbehandlung, insbesondere um den Umfang des Versorgungsauftrages des klägerischen Krankenhauses.
Die Klägerin betreibt in Berlin ein Belegkrankenhaus, welches im Krankenhausplan des Landes sowie nach dem entsprechenden Feststellungsbescheid mit Betten in den Fachabteilungen Urologie sowie Augenheilkunde, Chirurgie und Hals-Nasen-Ohrenheilkunde ausgewiesen ist. Betten in der Fachabteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe sind seit 2016 nicht mehr ausgewiesen. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass in diesem Fachgebiet kein Versorgungsauftrag mehr besteht. Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenkasse.
Die bei der Beklagten krankenversicherte Frau G. hatte im Jahr 2013 aufgrund einer Mann-zu-Frau Transidentität eine geschlechtsangleichende Operation erhalten. Dabei war sie mit dem Aufbau einer künstlichen Vagina versorgt worden.
Vom 14. Juli bis 21. August 2018 befand sich die Versicherte in stationärer Behandlung im Krankenhaus der Klägerin, da eine Neuanlage der künstlichen Vagina medizinisch erforderlich geworden war. Die Operation wurde von einem Team aus Gynäkologen und Urologen durchgeführt. Die Notwendigkeit der stationären Versorgung der Versicherten und die fachgerechte Durchführung der Operation sind zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Die Klägerin rechnete die Behandlungskosten unmittelbar nach der Behandlung der Versicherten nach den gesetzlichen und vertraglichen Vorschriften ab. Die Richtigkeit der Abrechnung in Höhe von 4.216,87 EUR ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Die Beklagte verweigerte die Begleichung des Rechnungsbetrages mit dem Argument, dass die Behandlung der Versicherten nicht vom Versorgungsauftrag des klägerischen Krankenhauses umfasst sei. Die Klägerin könne eine Vergütung für Leistungen der Frauenheilkunde nicht beanspruchen.
Am 20. Dezember 2018 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Sie vertritt die Ansicht, dass die Behandlung der Versicherten sowohl in den Versorgungsauftrag einer gynäkologischen als auch einer urologischen Abteilung falle. Eine geschlechtsangleichende Operation vom Mann zur Frau durch Entfernung des Penis, der Hoden und des Samenstranges, die Bildung der künstlichen Vagina und der Vulva aus Gewebe des Hodensackes, der Genitalregion mit einer Hauttransplantation sowie die plastische Konstruktion einer Neoclitoris aus Gewebe der Penisspitze seien urologische Eingriffe an einem biologischen Mann. Daher müssten auch späteren Korrekturoperationen bei dieser Person in den Fachbereich der Urologie fallen, da bei einer Nachbehandlung ursprünglich männliche Körperteile einzubeziehen seien. Die Behandlung in einer Abteilung für Urologie entspreche dem allgemeinen Standard vergleichbarer Behandlungszentren. Eine personenstandsrechtliche Änderung vom Mann zur Frau und ebenso eine geschlechtsangleichende Operation änderten nichts daran, dass bei der Versicherten mit Mann-zu-Frau-Transidentität weiterhin eine männliche Anatomie vorliege, deren genaue Kenntnis für den Erfolg der Operation maßgeblich sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 4.216,87 EUR zzgl. 2 % über dem Basiszinssatz seit dem 22. August 2018 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuwei...