Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Kostenersatz durch Erben. Vorliegen einer besonderen Härte. selbst bewohntes Hausgrundstück. Schonvermögen nach § 12 Abs 3 Nr 4 SGB 2
Leitsatz (amtlich)
Bleibt das geerbte und weiterhin bewohnte Hausgrundstück für den Erben bei der Prüfung seines eigenen Leistungsanspruchs nach § 12 Abs 3 Nr 4 SGB II als Schonvermögen außer Acht, stellt seine auf das Haus gestützte Inanspruchnahme als Erbe eine besondere Härte nach § 102 Abs 3 Nr 3 SGB XII dar.
Tenor
Der Bescheid vom 4. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2016 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Inanspruchnahme des Klägers für einen sozialhilferechtlichen Kostenersatz als Erbe.
Der Kläger wohnt in einem Haus in der S. Str. in B. mit ca. 66 qm Wohnfläche. Über den Wert des Hausgrundstücks existieren abweichende Angaben. Der Kläger gab gegenüber dem Beklagten einen Schätzwert von 200.000 Euro an. Der Beklagte forderte für das Hausgrundstück im Wege der Amtshilfe vom Stadtentwicklungsamt des Bezirksamts N. - Fachbereich Vermessung und Geoinformation - ein Wertgutachten an, welches einen Verkehrswert im Juli 2015 auf rd. 160.000 Euro ermittelte. Außerdem gab das Finanzamt S. auf Nachfrage des Beklagten an, dass ihm als Nachlassvermögen das Grundstück in der S. Str. mit einem Schätzwert in Höhe von 94.575 Euro bekanntgeworden sei.
Der Kläger bewohnte das Haus seit seiner Geburt zunächst gemeinsam mit seiner Mutter, die Alleineigentümerin des Hausgrundstücks war. Die Mutter des Klägers wurde in den letzten Jahren ihres Lebens aufgrund einer Parkinson-Erkrankung ambulant gepflegt. Ab dem 1. April 2010 leistete der Beklagte bis zum Tod der Mutter des Klägers Hilfe zur Pflege als Zuschuss in Höhe von insgesamt 20.878,29 Euro. Das Hausgrundstück wertete der Beklagte hierbei als Schonvermögen der Mutter.
Im Januar 2015 starb die Mutter des Klägers. Er erbte als Alleinerbe das Hausgrundstück und bewohnt es seither allein.
Der Kläger bezieht seit Februar 2006 bis heute Leistungen des SGB II. Das Jobcenter wertet seit dem Erbanfall das Hausgrundstück als Schonvermögen des Klägers und gewährt weiterhin die Leistungen als Zuschuss.
Mit Bescheid vom 4. November 2015 forderte der Beklagte den Kläger als Erben seiner Mutter zum Kostenersatz für alle seit dem April 2010 erbrachten Sozialhilfeleistungen in Höhe von 18.484,29 Euro auf. Den Wert des Hauses setzte der Beklagte auf 160.000 Euro an und errechnete einen einzusetzenden Nachlasswert von 157.090 Euro. Der Kläger legte gegen den Bescheid Widerspruch ein, den der Beklagte als unbegründet zurückwies.
Der Kläger meint, seine Inanspruchnahme als Erbe scheitere daran, dass ein Härtefall nach § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII vorläge. Wenn das Jobcenter für seinen Leistungsanspruch das Hausgrundstück als Schonvermögen werten würde, müsste derselbe Maßstab für den Beklagten bei der Frage der Erbenhaftung gelten. Zudem habe er sein Leben lang in dem Haus gemeinsam mit seiner Mutter gewohnt und sie in ihren letzten Lebensjahren teilweise auch gepflegt. Außerdem habe der Beklagte zum Teil Kosten für Pflegeleistungen übernommen, die der Pflegedienst nicht erbracht hätte.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 4. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2016 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, das Hausgrundstück sei kein Schonvermögen, da es kein postmortales Schonvermögen gebe. Zudem läge kein Härtefall vor, da die Umstände, dass der Sohn die Mutter vor ihrem Tod mit gepflegt und das Haus gemeinsam mit ihr bewohnt habe, keinen atypischen Sonderfall darstellen würden. Zuletzt sei der Vorwurf, der Beklagte habe unrechtmäßig zu viele Leistungen übernommen, nicht relevant, da die Leistungen unstreitig in der Höhe geflossen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der den Kläger betreffenden Forderungsbeiakte des Beklagten und der Verwaltungsakte des Jobcenters, der die Mutter des Klägers betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Berlin zum Az. 243 Js 915/15 Bezug genommen. Diese haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, geheimen Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) zulässig und begründet.
Denn der Bescheid vom 4. November 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Nach § 102 Abs. 1 S. 1 SGB XII ist der Erbe der leistungsberechtigten Person zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet.
Der Kläger ist Alleinerbe seiner Mutter, welche seit dem 1. April 2010 bis zu ihrem Tod im Januar 2015 vom Beklagten Leistungen der Hilfe zur Pflege in Höhe von insgesamt 20.878,29 Euro erhalten hat.
Der Kläger konnte mit seinem Einwand nicht durchdringen, dass die Leis...