Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Klage eines Sozialhilfeträgers gegen den einen Kostenersatzbescheid nach § 102 SGB 12 aufhebenden Widerspruchsbescheid. Sozialhilfe. Kostenersatz durch Erben. besondere Härte. Miteigentum an einer vom Erben selbst bewohnten Eigentumswohnung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine besondere Härte nach § 102 Abs 3 Nr 3 SGB XII kann vorliegen, wenn der Nachlass im Wesentlichen aus dem hälftigen Miteigentum an der gemeinsamen Eigentumswohnung besteht, die der überlebende Ehegatte und Erbe weiter bewohnt und auch für diesen Schonvermögen nach § 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII wäre. Es sind aber auch in dieser Situation die weiteren Umstände des Einzelfalls zu prüfen.
2. Eine Stundung der Forderung kann zusammen mit dem Bescheid zum Kostenersatz erfolgen. Eine Stundung, etwa auf Lebzeiten des Erben, kann Einfluss auf das Bestehen einer besonderen Härte haben.
3. Zur Klage eines Sozialhilfeträgers gegen einen Widerspruchsbescheid, der den Ausgangsbescheid aufhebt.
Tenor
I. Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2017
wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 4.411,05 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger, ein überörtlicher Träger der Sozialhilfe, wendet sich gegen einen Widerspruchsbescheid, der seinen Kostenersatzbescheid nach § 102 SGB XII gegen den Ehemann der verstorbenen Leistungsempfängerin aufgehoben hat.
Der Kläger erbrachte ab 01.12.2015 an die 1935 geborene Frau A2. (künftig Ehefrau) Leistungen der Sozialhilfe im Rahmen deren stationären Aufenthalts in einem Pflegeheim. Die Ehefrau wohnte zuvor mit ihrem Ehemann in einer Eigentumswohnung in Germering. Es handelt sich um eine Zweizimmerwohnung mit 56 qm Wohnfläche, die je hälftig im Eigentum der Ehefrau und des 1932 geborenen Ehemanns stand. Die Ehefrau erzielte eine Altersrente von monatlich 159,- Euro, der Ehemann eine Altersrente von monatlich 651,65 Euro. Mit Bescheid vom 21.01.2016 lehnte der Kläger Leistungen für die Zeit von 20.07.2015 bis einschließlich November 2015 wegen vorhandener Eigenmittel des Ehepaars ab. Ab 01.12.2015 bewilligte der Kläger der Ehefrau Grundsicherungsleistungen nach § 41 SGB XII in Höhe von monatlich 778,35 Euro, Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen in Form eines Barbetrags in Höhe von monatlich 107,73 Euro bzw. 109,08 Euro, Bekleidungsbeihilfe und, nach Abzug der Leistung der Pflegeversicherung, Hilfe zur Pflege in Höhe von monatlich 1315,09 Euro.
Die Ehefrau verstarb am 09.03.2016. Sie wurde von ihrem Ehemann als Alleinerbe beerbt.
Der Ehemann beantragte die Übernahme der von Bestattungskosten von insgesamt 2.509,- Euro. Dabei gab er an, neben der Eigentumswohnung über Geldvermögen in Höhe von insgesamt 1759,- Euro zu verfügen. Dies lehnte der Kläger mit Bescheid vom 11.07.2016 ab, weil der Kläger eine halbe Eigentumswohnung geerbt habe.
Nach Anhörung zur beabsichtigten Verpflichtung zum Kostenersatz als Erbe teilte der Bevollmächtigte des Ehemanns mit, dass der Ehemann die kleine Eigentumswohnung selber bewohne und insgesamt über ein Einkommen von weniger als 800,- Euro monatlich verfüge. Mit Bescheid vom 11.07.2016 verpflichtete der Kläger den Ehemann, 4.411,05 Euro an Leistungen der Sozialhilfe zu ersetzen. Die Verpflichtung beruhe auf § 102 SGB XII. Die Sozialhilfeaufwendungen für die Ehefrau hätten 6.835,05 Euro betragen. Abzüglich des Freibetrags von 2424,- Euro ergebe sich ein Betrag von 4.411,05 Euro, den der Ehemann als Erbe der Leistungsempfängerin zu ersetzen habe. Zum Nachlass gehöre unter anderem der hälftige Anteil an der Eigentumswohnung in Germering.
Der Ehemann legte dagegen über seinen Rechtsanwalt Widerspruch ein. Laut einem internen Aktenvermerk sollten daraufhin die Bestattungskosten übernommen werden, über eine Stundung der Ersatzforderung sollte erst entschieden werden, wenn die Forderung bestandskräftig geworden sei.
Der Ehemann verstarb am 29.11.2016.
Der Kläger gab das Widerspruchsverfahren an die Widerspruchsbehörde ab mit dem Antrag, den Widerspruch abzuweisen. Die Widerspruchsbehörde teilte dem Kläger daraufhin mit, dass der Kostenersatz im vorliegenden Fall eine besondere Härte gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII darstelle, weil die hälftig ererbte Eigentumswohnung geringer Größe für jeden Ehepartner als Schonvermögen geschützt gewesen sei. Der Kläger werde deshalb gebeten, die Ausgangsentscheidung zurückzunehmen und dem Widerspruch abzuhelfen. Der Kläger lehnte eine Abhilfe ab. Es handle sich um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Ein atypischer Fall liege nicht vor. Es komme regelmäßig vor, dass ein überlebender Ehegatte zum Kostenersatz herangezogen werde, weil er einen Miteigentumsanteil einer Immobilie geerbt hatte.
Die Regierung von Oberbayern hob daraufhin den Bescheid vom 11.07.2016 mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2017 auf. Es liege eine besondere Härte gemäß § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII vor. Entsprechend der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts (Urteil vom 23.02.2...