Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. kein Leistungsausschluss für Ausländer in den ersten drei Monaten des Aufenthalts bei Ehegattennachzug. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 für die ersten drei Monate des Aufenthaltes ist bei einem Familiennachzug eines ausländischen Ehepartners zu seinem deutschen Ehegatten nicht anwendbar.
2. Der tatsächliche Regelungszweck des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 - Leistungsausschluss von EU-Bürgern in den ersten drei Monaten ihres (voraussetzungslosen) Aufenthalts - rechtfertigt keinen Eingriff in Art 6 Abs 1 GG.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 26.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2010 (W …4/10) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 01.10.2010 bis zum 29.11.2010 zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten - nach der Rücknahme der Klage durch die Ehefrau des Klägers mit Schriftsatz vom 25. Juli 2011 noch - über die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses des Klägers von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetz-buch (SGB II) für die erste Zeit seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland vom 01. Oktober 2010 bis zum 29. November 2010.
Der am … November 1975 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Serbien und seit dem 21. Mai 2010 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Er reiste am 30. August 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein; ausweislich des entsprechenden 90 Tage gültigen Visums vom 30. August 2010 erfolgte die Einreise zum Familiennachzug, wobei die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet war. Am 01. Oktober 2010 stellten der Kläger und seine Ehefrau beim Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2010 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum 01. Oktober 2010 bis zum 29. November 2010, in dem der Kläger und seine Ehefrau mietfrei bei Bekannten wohnten, lediglich der Ehefrau des Klägers eine monatliche Regelleistung von 323,- EUR (anteilig für den Zeitraum vom 01. - 29. November 2010 in Höhe von 312,23 EUR).
Gegen diesen Bewilligungsbescheid legte der Kläger am 10. November 2010 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er unter anderem aus, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II nicht eingreife.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2010 (W …4/10) zurück und führte insoweit aus, dass nach der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II während der ersten drei Monate nach der Einreise grundsätzlich jeder Ausländer vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Insbesondere sei der Kläger weder Arbeitnehmer, noch Selbständiger oder aber aufgrund von § 2 Abs. 3 FreizügigG/EU freizügigkeitsberechtigt. Da die Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an das Gesetz gebunden sei, komme eine darüber hinausgehende Leistungsgewährung nicht in Betracht.
Mit der am 20. Dezember 2010 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren, die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum vom 01. Oktober 2010 bis 29. November 2010, mithin auch im Zeitraum der ersten drei Monate seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland, weiter. Er meint, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II sei in Umsetzung von Art. 24 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie lediglich auf Unionsbürger anwendbar und nicht auf ihn, da er im Besitz eines Aufenthaltstitels zur Familienzusammen-führung gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 26. Oktober 2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. November 2010 (W …4/11) abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 01. Oktober 2010 bis 29. November 2010 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich insoweit auf die Ausführungen in den angegriffenen Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung der Kammer gemachten Prozessakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 25. Juli 2011 (Kläger) und 01. August 2011 (Beklagter) gegenüber dem Gericht ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
Gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) konnte das Gericht im Einverständnis mit den Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) ist begründet. Der Bescheid vom 26. Oktober 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. November 2010 (W 8594/...