Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. endgültige Entscheidung nach vorläufiger Leistungsbewilligung. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. selbstständige Arbeit. Gewinnermittlung. Bildung eines Durchschnittseinkommens im Bewilligungszeitraum
Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach der Einführung von § 41a SGB II bleibt für die grundsätzliche Bestimmung des Einkommens Selbständiger § 3 Abs 4 ALG-II-VO (juris: AlgIIV 2008) anwendbar und maßgeblich. § 41a Abs 2 SGB II wird von § 3 Abs 4 ALG-II-VO in einem Bereich flankiert, in dem dieser selbst keine eigene Regelung trifft. Die Gewinnermittlung für Selbständige ist weiterhin ausschließlich in § 3 ALG-II-VO geregelt.
2. Die Frage des Spannungsfeldes zwischen § 41a Abs 4 S 2 Nr 2 SGB II und § 3 Abs 4 ALG-II-VO ist durch das BSG (vgl Urteil vom 11.7.2019 - B 14 AS 44/18 R = SozR 4-4200 § 41a Nr 2) nicht abschließend geklärt. Insoweit ist dem LSG Berlin-Potsdam (entgegen LSG Berlin-Potsdam vom 11.5.2020 - L 18 AS 732/18) nicht zu folgen. Aus Sicht der Kammer sprechen gegen die Auslegung des LSG sowohl die Gesetzeshistorie bzw -systematik, als auch Sinn und Zweck der Vorschriften in § 41a Abs 4 SGB II und § 3 Abs 4 ALG-II-VO.
3. Bei einem Selbständigen stehen sich typischerweise Einnahmen und Ausgaben in einem Monat nicht korrespondierend gegenüber. Eine Lösung allein über § 41a Abs 4 S 2 Nr 2 SGB II mit seiner monatsweisen Betrachtung der Einnahmen, würde das wirtschaftliche Bild der Tätigkeit deutlich verzerren.
4. Dies könnte sich einerseits deutlich zum Nachteil des Selbständigen auswirken und könnte andererseits die endgültige Leistungsberechnung aufgrund der gewissen Steuerungsmöglichkeit der Einnahmen bei Selbständigen manipulationsanfällig zulasten des Leistungsträgers gestalten.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Anrechnung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit im Rahmen einer endgültigen Festsetzung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der allein lebende Kläger ging im Jahr 2016 einer selbständigen Tätigkeit nach und bezog ergänzend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Auf den Antrag des Klägers bewilligte der Beklagte dem Kläger wegen des schwankenden Einkommens für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 2016 bis zum 31. August 2016 zunächst vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Nach Ablauf des Bewilligungszeitraums reichte der Kläger am 15. Dezember 2016 beim Beklagten die Anlage zur vorläufigen oder abschließenden Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (EKS) ein. Ausweislich der EKS erzielte der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum folgende Betriebseinnahmen:
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Monat |
Betriebseinnahmen laut EKS |
März 2016 |
1.012,00 € |
April 2016 |
0,00 € |
Mai 2016 |
420,00 € |
Juni 2016 |
1.442,75 € |
Juli 2016 |
1.425,00 € |
August 2016 |
1.694,50 € |
Gesamt: |
5.994,25 € |
Der Kläger machte in der eingereichten EKS die Betriebsausgaben in folgender Höhe geltend:
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Monat |
Betriebsausgaben laut EKS |
März 2016 |
72,88 € |
April 2016 |
81,58 € |
Mai 2016 |
201,64 € |
Juni 2016 |
186,01 € |
Juli 2016 |
104,60 € |
August 2016 |
56,00 € |
Gesamt: |
702,71 € |
Mit endgültigem Bewilligungsbescheid vom 15. Juni 2017 setzte der Beklagte den Leistungsanspruch des Klägers für den Zeitraum März 2016 bis August 2016 endgültig fest und bewilligte dem Kläger entsprechend Leistungen in Höhe von monatlich 402,16 €. Dabei ging der Beklagte von einem Gesamtbedarf des Klägers von 843,29 € pro Monat des Bewilligungszeitraums aus. Als Einkommen aus selbständiger Tätigkeit berücksichtigte der Beklagte einen Betrag von durchschnittlich 651,41 € pro Monat und rechnete nach Abzug der Freibeträge auf das Erwerbseinkommen monatlich 441,13 € als zu berücksichtigendes Gesamteinkommen auf den Leistungsanspruch des Klägers an. Im Rahmen der Berechnung ging der Beklagte dabei von dem folgenden Betriebseinnahmen bzw. anzuerkennenden Betriebsausgaben aus:
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Monat |
Zu Grunde gelegte Betriebseinnahmen |
Anerkannte Betriebsausgaben |
Einnahmenüberschuss |
März 2016 |
1.012,00 € |
8,88 € (50% der Telefonkosten von 7,50 € + 5,13 € Software) |
1.003,12 € |
April 2016 |
0,00 € |
23,45 € (50% der Telefonkosten von 15 € + 12,90 Arbeitskleidung/ Reparatur + 3,05€ Software) |
- 23,45 € |
Mai 2016 |
420,00 € |
125,75 € (51,30 € + 45 € jeweils Fahrkosten + 13,90 € Büromaterial/Porto + 50% der Telefonkosten von 15 € + 5€ Arbeitskleidung/Reparatur + 3,05 € Software) |
294,25 € |
Juni 2016 |
1.442,75 € |
101,53 € (19,70 € Fahrkosten + 44.25 € Büromaterial/Porto + 50% der Telefonkosten von 15 € + 26,95 € Arbeitskleidung/ Reparatur + 3,13€ Software) |
1341,22 € |
Juli 2016 |
1.425,00 € |
16,20 € (50% der Telefonkosten von 26,20 € + 3,10€ Software) |
1.408,70 € |
August 2016 |
1.694,50 € |
9,75 € (50% der Telefonkosten von 12,50 € + 3,50€ Software) |
1.684,75 € |
Gesamt: |
5.994,25 € |
285,56 € |
5.708,69 € |
Aus der Sum...