Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdrentenrecht. Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Geschwister
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zugehörigkeit eines Klägers zum deutschen Sprach- und Kulturkreis ist nicht dadurch ausgeschlossen, daß bei der Schwester die Zugehörigkeit durch rechtskräftiges Urteil verneint worden ist. Die Lebenswege von Geschwistern können sich im Verlauf von 20 Jahren stark voneinander entfernen, vor allem durch Heirat mit einem Partner, der nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört.
2. Der Umstand, daß Geschwister als Kinder Ungarisch miteinander gesprochen haben, schließt ihre Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis nicht aus. Auch innerhalb von Deutschland läßt sich beobachten, daß Kinder die Sprachgewohnheiten von ihrer Umgebung, insbesondere auch von ihren Klassenkameraden übernehmen. Das gilt für den speziellen Jugendjargon genauso wie für Dialekte. Kinder übernehmen bereits im Kindergarten die Mundart ihrer Spielgefährten und unterhalten sich so auch untereinander, obwohl die Eltern zu Hause Hochdeutsch sprechen. Dennoch bleibt der kulturelle Einfluß des Elternhauses in der Regel überwiegend.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung von Fremdbeitragszeiten in Siebenbürgen im Hinblick auf die Zugehörigkeit des Klägers zum deutschen Sprach- und Kulturkreis.
Der Kläger wurde am 26. Juni 1914 im damals ungarischen N geboren. Er ist Angehöriger des jüdischen Glaubens. Von 1924 bis 1932 besuchte er das Gymnasium in N, anschließend für ein Jahr die Universität in S.
Von 1938 bis 1942 arbeitete der Kläger als Angestellter bei einem Rechtsanwalt in N. Von 1945 bis 1948 war er bei der Firma "U" in O beschäftigt, danach bekleidete er bis 1951 und dann wieder von 1958 bis zum 31. Juli 1974 verschiedene Positionen innerhalb des Bundes der jüdischen Gemeinden. In den genannten Zeiten wurden jeweils Beiträge zur Sozialversicherung bezahlt (siehe dazu im einzelnen die Übersetzung des Arbeitsbuches des Klägers auf Blatt 34 der Verwaltungsakte). Im Jahr 1989 wanderte der Kläger nach Israel aus.
Mit Schreiben vom 8. Februar 1990 stellte der Kläger erstmals einen Antrag auf Kontenklärung und Nachentrichtung von Beiträgen. Im Hinblick auf die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis gab der Kläger an, daß er in einem deutschsprachigen Elternhaus aufgewachsen sei. Regelmäßig in den Ferien habe er die Großeltern väterlicherseits besucht, mit denen er Deutsch gesprochen habe. Deutsch sei sein Pflichtfach in der Schule gewesen. Bei der Abiturprüfung habe er in diesem Fach die beste Note erzielt.
Am 14. April 1991 wurde der Kläger in T zur Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis befragt.
Die Prüfer kamen zu dem Ergebnis, daß dem Kläger die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis zu bestätigen sei. Der Kläger habe den größten Teil seines Lebens in einem nicht-deutschen Sprachraum verbracht. Dennoch spreche er Deutsch bis heute wie eine Muttersprache. Er lese dieses gut und mit vollem Verständnis. Er schreibe mit nur wenigen Fehlern. Mit Bescheid vom 15. August 1991 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Nach den vorliegenden Unterlagen sei Ungarisch die Muttersprache des Klägers. Das deutsche Element habe seinen Lebensgewohnheiten nicht das Gepräge gegeben. Der Widerspruchsbescheid wurde am 23. März 1992 nach Aktenlage erlassen, nachdem der Kläger seinen Widerspruch nicht begründet hatte. Eine Klage beim Sozialgericht Berlin nahm der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 14. September 1992 zurück. Er teilte mit, daß sich sein Mandant nicht mehr bei ihm gemeldet habe.
Mit Schreiben vom 8. März 1993 beantragte der Kläger unter anderem die Anerkennung von Fremdbeitragszeiten. Die Beklagte lehnte das mit Bescheid vom 16. März 1993 ab. Die Voraussetzungen von § 44 SGB X lägen nicht vor. Der Bescheid vom 15. August 1991 sei korrekt, da der Kläger bereits in seinem Elternhaus Ungarisch gesprochen habe und daher zu keiner Zeit dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe.
Mit Schreiben vom 14. April 1993 legte der Kläger Widerspruch ein. Er verwies auf das positive Ergebnis der Sprachprüfung und legte außerdem eidesstattliche Versicherungen der Zeugen A und K vor. Deutsch sei beim Beginn der Verfolgung durch die Nationalsozialisten die überwiegende Sprache in seinem persönlichen Lebensbereich gewesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 1993 blieb die Beklagte bei ihrer Auffassung.
Mit seiner Klage vom 4. November 1993 begehrt der Kläger die Anerkennung von Beitragszeiten nach § 17 a Fremdrentengesetz.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 16. März 1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 1993 aufzuheben und die Zeiten
vom
|
1. Februar 1938 |
bis |
19. Februar 1942, |
1. Oktober 1945
1. Januar 1958
als glaubhaft gemachte Beitragszeiten nach § 17 a FRG anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Zeugen A und K im Wege der Rechtshilfe durch d...