Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Erhebung des kassenindividuellen Zusatzbeitrags. Anforderungen an die Hinweispflicht der Krankenkassen auf ein Sonderkündigungsrecht der Mitgliedschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Wegen § 175 Abs 4 S 7 SGB 5 ist die Erteilung des Hinweises auf das Sonderkündigungsrecht zwingende Voraussetzung für die Erhebung eines Zusatzbeitrages oder dessen Erhöhung durch die Krankenkasse.
2. An den Hinweis auf das Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs 4 S 6 SGB 5 sind nicht weniger strenge Anforderungen zu stellen, als dies für Rechtsfolgenbelehrungen im Sozialrecht und vergleichbare Transparenzpflichten für Sonderkündigungsrechte im Privatrecht gilt. Es ist Schrift-, jedenfalls Textform zu verlangen.
3. Der Hinweis muss klar, vollständig, verständlich und eindeutig sowie durch seine Stellung im Text und die drucktechnische Gestaltung einem durchschnittlichen Empfänger verdeutlichen, dass dieser durch einen Kassenwechsel die Zahlung des Zusatzbeitrages oder dessen Erhöhung vermeiden kann. Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts von § 175 Abs 4 S 5 SGB 5 bei der formularmäßigen Angabe der Rechtsgrundlagen für die Zusatzbeitragserhebung außerhalb des eigentlichen Bescheidtextes ohne Hinweis auf die besondere Gestaltungsmöglichkeit genügt diesen Ansprüchen nicht.
4. Eine unzureichende Umsetzung der Hinweispflicht ist als deren Nichterfüllung zu bewerten.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 24. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2010 und der Bescheid vom 17. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erhebung des einkommensunabhängigen Zusatzbeitrages durch die Beklagte für die Zeiträume ab April 2010 in Höhe von monatlich 8 EUR und ab Januar 2011 in Höhe von monatlich 15 EUR.
Der Kläger ist bei der Beklagten Mitglied. Mit Schreiben vom 24. März 2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ab 1. April 2010 ein Zusatzbeitrag von monatlich 8 EUR erhoben werde. Dieses Schreiben ist auf der ersten Seite vom Vorstand der Beklagten, Sch…, unterzeichnet. Ein Sonderkündigungsrecht findet auf dieser Seite des Schreibens keine Erwähnung. Auf der Rückseite befinden sich zwei Textblöcke. Der erste ist überschrieben: “Gute Gründe für die City BKK„, der zweite: “Weitere allgemeine Hinweise„. Der zweite Textblock ist in merklich kleinerer Schrift als der Text der Vorderseite und des ersten Textblocks dargestellt. Als sechster Unterpunkt im zweiten Textblock erfolgen Ausführungen, die überschrieben sind mit: “Rechtsgrundlagen (Auszüge)„. Darin findet sich das wortwörtliche Zitat von § 175 Abs 4 Satz 5 SGB V.
Gegen dieses Schreiben wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 12. April 2010. Er habe 45 Jahre Beiträge geleistet und zahle nun als versicherter Rentner weiterhin Beiträge. Er sei zu weiteren Erhöhungen nicht bereit. Am 14. April 2010 erhob er Klage. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2010 zurück. Sie erhebe von ihren Mitgliedern auf satzungsmäßiger Grundlage ab April 2010 einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag unabhängig vom Einkommen der Versicherten von monatlich 8 €. Wegen der Einzelheiten der Änderung der Satzung und der weiteren Gründe des Widerspruchsbescheides wird gemäß § 136 Abs 2 Satz 1 SGG auf Seite 2 des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2010 Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2011 teilte die Beklagte dem Kläger die Erhöhung des Zusatzbeitrages auf 15 EUR mit. Ein Hinweis auf ein Sonderkündigungsrecht findet sich auch bei diesem Schreiben nur auf der Rückseite bei der Passage zu den Rechtsgrundlagen innerhalb des Textblocks mit reduzierter Schriftgröße. Den Widerspruch des Klägers vom 18. Januar 2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2011 zurück. Der Kläger hat seine Klage erweitert und auch gegen den Bescheid vom 17. Januar 2011 gerichtet. Wegen Misswirtschaft der Geschäftsführung der Beklagten könnten von ihm nicht höhere Beiträge verlangt werden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2010 und den Bescheid vom 17. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2011 aufzuheben.
Die Beklagte hält ihre Entscheidung für zutreffend und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kammer haben außer den Prozessakten die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze, das Protokoll und den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Kläger hat Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Diese verletzen Rechte des Klägers, weil sie rechtswidrig die Pflicht zur Zahlung von Zusatzbeiträgen für Zeiträu...