Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. freie Verpflegung während stationärer Rehabilitationsmaßnahme. keine Kürzung der Regelleistung. keine Berücksichtigung als Einkommen. Neufassung der AlgIIV zum 1.1.2008
Orientierungssatz
1. Die freie Verpflegung während einer stationären Rehabilitationsmaßnahme berechtigt nicht zur Kürzung der Regelleistung nach § 20 SGB 2; sie stellt mangels Geldes- bzw Marktwertes kein zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne von § 11 Abs 1 SGB 2 dar.
2. Die SachBezV 1995 dient allein der Vereinfachung der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers, die wie Arbeitseinkommen einen - gegebenenfalls zu versteuernden Marktwert - haben; ihre Anwendung kann nicht dazu führen, dass eine Einnahme ohne Marktwert als Einkommen iS von § 11 SGB 2 zu qualifizieren ist.
3. Auch nach der zum 1.1.2008 in Kraft getretenen AlgIIV 2008 ist eine in einer Kurklinik bereit gestellte Verpflegung nicht zu einer Einnahme bzw einem anzurechnenden Einkommen geworden, denn der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist nicht ermächtigt, den gesetzlich in § 11 SGB 2 geregelten Einkommensbegriff zu erweitern oder zu verändern.
Tenor
Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 23. Februar 2007 in der Fassung des Bescheides vom 19. April 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2007 verurteilt, an den Kläger für die Monate März 2007 bis April 2007 insgesamt weitere 193,20 Euro Regelleistung zu gewähren.
Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger während einer stationären Rehabilitationsmaßnahme Anspruch auf die volle Regelleistung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von 345,00 Euro monatlich, hier in den Monaten März 2007 bis April 2007, hat.
Der 1962 geborene allein lebende Kläger bezieht laufend Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II. Vom 22. Januar 2007 bis zum 18. April 2007 befand sich der Kläger in einer von seinem Rentenversicherungsträger Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See bewilligten stationären Rehabilitationsbehandlung in L . Nach Ablauf des bis zum 28. Februar 2007 laufenden Bewilligungszeitraumes bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 23. Februar 2007 für die Zeit vom 1. März 2007 bis zum 31. August 2007 Leistungen nach dem SGB II von insgesamt 569,84 Euro monatlich. Dieser Betrag berücksichtigt nach dem Berechnungsbogen (Anlage zum Bescheid vom 23. Februar 2007) einen Bedarf von 224,25 Euro, der sich nach Anrechnung von “sonstigem Einkommen„ in Höhe von 120,75 Euro auf die Regelleistung von 345,00 Euro ergebe, sowie anerkannte Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 345,59 Euro. Ferner heißt es in dem Bescheid: “Vorläufig unbefristeter Abzug von 35 v.H. der vollen Regelleistungen (120,75 Euro) während des stationären Aufenthalts. Dies entspricht in etwa dem in den Regelleistungen enthaltenen Ernährungsanteil. Nach Vorlage der Entlassungsbescheinigung wird der Abzug taggenau korrigiert.„
Der Kläger erhob mit Schreiben vom 7. März 2007, bei dem Beklagten am 12. März 2007 eingegangen, gegen den Bescheid vom 23. Februar 2007 Widerspruch, mit dem er geltend machte, dass es durch die Kürzung der Leistungen zu einer Bedarfsunterschreitung komme. Außerdem bekomme der Beklagte die Leistungen während des Klinikaufenthaltes später vom Rentenversicherungsträger erstattet.
Nachdem die Kurklinik die Entlassung des Klägers zum 18. April 2007 bescheinigt hatte, bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Änderungsbescheid vom 19. April 2007 für die Zeit vom 1. April 2007 bis zum 30. April 2007 Leistungen in Höhe von 618,14 Euro und vom 1. Mai 2007 bis zum 31. August 2007 in Höhe von 690,59 Euro monatlich. Dabei ermittelte er für April 2007 nach einer “Einkommensanrechnung„ von 72,45 Euro einen Bedarf von 272,55 Euro.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2007 (W.) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Februar 2007 zurück. Der Beklagte führte zur Begründung aus, dass Leistungen nach dem SGB II nur insoweit gewährt würden soweit Hilfebedürftigkeit bestehe. Die Gewährung von Vollverpflegung während einer stationären Maßnahme könne als Einkommen berücksichtigt werden. Dabei könnten Sachleistungen nach der jeweiligen Fassung der Sachbezugsverordnung bewertet werden. Da bei einer vollstationären Rehabilitationsmaßnahme regelmäßig Verpflegung gewährt werde, sei die Hilfebedürftigkeit des Klägers bezogen auf die Deckung des entsprechenden Bedarfs nicht festzustellen bzw. diese Leistung als Einnahme in Form von Sachbezug abzusetzen. Diese Leistung werde hier nach ständiger Verwaltungspraxis mit einem Wert von 35 % pauschaliert zum Ausgleich gebracht, so dass sich für März 2007 eine Minderung von 120,75 Euro und für April 2007 eine Minderung von 72,45 Euro (18/30 von 120,75) ergebe.
Der Kläger hat am 4. Mai 2007 bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Er verweist auf verschiedene erstins...