Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Ausländer ohne Identitätspapier. Passpflicht. Übernahme von Passbeschaffungskosten nach § 73 SGB 12. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Bei ausländischen Staatsangehörigen, die SGB-12-Leistungen beziehen, kommt aufgrund ihrer ausländerrechtlichen Passpflicht die Übernahme der Kosten für die Passausstellung nach § 73 SGB 12 in Betracht.
Orientierungssatz
1. Mittel für die Kosten der Passausstellung sind nicht in den Regelsätzen nach § 28 SGB 12 enthalten. Es kann nicht auf ein Ansparen im Regelsatz enthaltener Mittel verwiesen werden. Aus dem gleichen Grund scheidet die Inanspruchnahme von Darlehen nach § 37 Abs 1 SGB 12 aus.
2. Entscheidend für eine Kostenübernahme der Passausstellung ist nach SGB 12 das Fortbestehen der durch die gesetzliche Passpflicht begründeten Bedarfslage. Das Sozialhilferecht stellt hinsichtlich der Leistungsansprüche auf das Vorhandensein der Bedarfslage ab, nicht auf deren Ursache. Aufgrund einer Rückzahlungspflicht aus einem Darlehen besteht die Bedarfslage fort und wandelt sich in einen Erstattungsanspruch.
3. Das Auswahlermessen ist in Bezug auf die Art der Leistungserbringung als Beihilfe oder Darlehen nach § 73 S 2 SGB 12 nicht auf die begehrte Zuschussgewährung reduziert. Im Rahmen der Ermessensbetätigung ist zu beachten, dass es aufgrund des Alters, des Schulabschlusses, der begonnenen Ausbildung nicht ausgeschlossen ist, dass eine Erwerbstätigkeit in absehbarer Zeit gefunden und ein Darlehen zumindest ratenweise getilgt werden kann.
4. Das Auswahlermessen ist auch nicht auf die beihilfeweise Bewilligung der Kostenerstattung reduziert, weil deutsche Staatsangehörige, die Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen, wegen der Vorschriften zur Gebührenbefreiung regelmäßig keine Kosten für die Passerteilung zu tragen haben, während ausländische Staatsangehörige bei darlehensweiser Leistungsgewährung der Rückzahlungspflicht unterliegen und aufgrund der Staatsangehörigkeit anders behandelt werden. Diese Ungleichbehandlung verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Mit der Leistungsgewährung nach § 73 SGB 12 wird die Kostenlast eines Ausländers sozialstaatlich bewältigt.
Tatbestand
Die 1984 geborene Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für die Passerteilung.
Sie ist nach eigenen Angaben serbische Staatsangehörige und verfügt, nachdem ihr in der Vergangenheit Duldungen erteilt wurden, über eine Niederlassungserlaubnis. Nach Mitteilung des Beklagten (Schreiben vom 16. März 2006) erhält die Klägerin Sozialhilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -. Ein Ende der Leistungsgewährung sei nicht absehbar. In einem handschriftlichen Vermerk vom 7. März 2006 hielt der Beklagte fest, die Klägerin habe am 20. Februar 2006 wegen Erstattung von Passgebühren vorgesprochen. Dies sei abgelehnt worden.
Gegen die Ablehnung erhob die Klägerin Widerspruch und verwies auf ihre ausländerrechtliche Verpflichtung zur Passbeschaffung. Regelmäßig werde sie von der Ausländerbehörde aufgefordert, sich einen Pass ausstellen zu lassen.
Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 21. März 2006 zurückgewiesen. Bei den Kosten der Passbeschaffung handele es sich um einen einmaligen Bedarf. Für die sozialhilferechtlich anzuerkennenden einmaligen Bedarfe enthalte § 31 SGB XII einen abschließenden Katalog. Passerteilungskosten gehörten nicht hierzu. Mittel hierfür seien durch Ansparung aus dem Regelsatz zu finanzieren. § 6 Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - komme nicht zur Anwendung, da die Klägerin anders als Bezieher von Leistungen nach dem AsylbLG gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG höhere Leistungen mit einem Ansparvolumen erhalte.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt vor, bei ihrer Einreise ins Bundesgebiet sei sie minderjährig und im Reisepass ihrer Eltern eingetragen gewesen. Ihre Duldungen hätten die Nebenbestimmung “Identität nicht nachgewiesen, zur Passbeschaffung aufgefordert„ enthalten. Bei der serbischen Botschaft habe sie mit der Geburtsurkunde und dem Staatsangehörigkeitsnachweis die notwendigen Unterlagen zur Ausstellung eines Reisepasses vorgelegt. Für die Bearbeitung des Passantrags und die Passausstellung verlange die Botschaft 188,00 Euro. Hinzukämen 11,00 Euro, die für die Einholung einer eidesstattlichen Versicherung über ihre Identität angefallen seien. Sie sei mittellos und könne die Kosten nicht tragen. Weiter verweist sie auf ein Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 13. Juli 2007, dem zufolge die Passgebühren für Deutsche von den Passämtern erlassen werden könnten. Hieraus sei zu schließen, dass Aufwendungen für Passgebühren im Regelatz nicht enthalten seien. 2006 habe sie sich einen Pass ausstellen lassen. Mit Geld, das sie sich von einer Freundin geliehen habe, habe sie die Kosten für die Passausstellung und die eidesstattliche Versicherung bestritten. Zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung mit deutschen Staatsangehörigen, die bei Bedürftigkeit keine Passgebühren zu en...