Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung. Gleichbehandlungsgrundsatz

 

Leitsatz (amtlich)

Für Zeiträume ab Inkrafttreten der EGV 883/2004 (ab 1.5.2010) leitet sich für EU-Bürger mit Wohnsitz in Deutschland ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach den gleichen Maßstäben wie für Deutsche ab, selbst wenn das Aufenthaltsrecht nur auf der Arbeitsuche beruht.

 

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 13. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2011 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, ergänzend Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01. Mai 2011 bis 31. März 2012 zu gewähren.

2. Der Beklagte hat den Klägern die Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren ergänzende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai 2011 bis 31. März 2012.

Die Kläger besitzen die rumänische Staatsangehörigkeit und sind eine Familie bestehend aus Eltern und zehn Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und 17 Jahren. Im November 2010 reiste die Familie nach B…. Zum 30. November 2011 mietete der Kläger zu 1) eine 2- Zimmerwohnung mit einer Wohnfläche von rund 65 qm zu einer Warmmiete von zunächst 530 €, seit 1. Dezember 2011 in Höhe von 540, 74 € (Staffelmiete). Seit dem 9. Dezember 2010 sind die Kläger zu 1) bis 11) - der Kläger zu 4) seit seiner Geburt - unter der im Rubrum genannten Anschrift mit Wohnsitz gemeldet. Alle besitzen eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU). Die Kläger sind in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert. Die Familie bezieht Kindergeld und Elterngeld. Am und zum 10. Dezember 2010 meldete der Kläger ein Gewerbe mit Tätigkeit “Abriss, Reinigung Gebäude„ unter der Wohnanschrift an. Die Erteilung einer Arbeitsberechtigung-EU für die Klägerinnen zu 2) und 3) lehnte die Bundesagentur für Arbeit im April 2011 ab. Die Steuernummer beim Finanzamt Neukölln lautet …...

Anfang Mai 2011 beantragte der Kläger zu 1) für sich und seine Familie Leistungen nach dem SGB II mit der Angabe, die Aufträge seien nicht so zahlreich, dass er den Familienunterhalt der Familie gewähren könne; bisher haben sie von seinem Einkommen aus Gewerbe gelebt. Der Kläger zu 1) legt diverse Unterlagen vor, u.a. den Mietvertrag, Verträge und Quittungen zu seinen Tätigkeiten, Quittungen zu Mietzahlungen, Freizügigkeitsbescheinigungen, Bescheide zum Elterngeld und Kindergeld, Kopien von Kontoauszügen. Auftraggeber bzw. Vertrags-partner laut vorgelegter Verträge und Rechnungen ist eine “Fa. .. Gebäudereinigung (B… O…-A…)„; der monatliche Rechnungsbetrag betrug je 850 € für die Monate Januar und Februar 2011 und je 650 € für März und April 2011.

Mit Bescheid vom 13. Mai 2011 lehnte der Beklagte die Bewilligung von SGB II-Leistungen mit der Begründung ab, die Kläger seien nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausgeschlossen, da der Kläger zu 1) weder als Arbeitnehmer die erforderliche Genehmigung zur Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit besitze, noch als selbständiger Unternehmer anzusehen sei, noch nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeits-berechtigt sei. Hiergegen legte der Kläger zu 1) Widerspruch ein.

Am 8. September 2011 wird der Kläger zu 4) geboren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, der Kläger habe nur einen Auftraggeber, so dass Abhängigkeit zu unterstellen sei, was auch vom vorgelegten Arbeitsvertrag gestützt werde. Der Kläger sei in eine fremde Arbeitsorganisation eingebunden. Für eine abhängige Beschäftigung fehle dem Kläger eine Arbeitsberechtigung, somit ergebe sich das Aufenthalts-recht zum Zwecke der Arbeitssuche.

Daraufhin hat der Kläger zu 1) am 26. Oktober 2011 beim Sozialgericht für seine Ehefrau, die zehn Kinder und sich Klage erhoben.

Der Kläger zu 1) trägt vor, aufgrund des kleinen Einkommens habe er zusätzliche Hilfe beim Beklagten beantragt und sehe sich gezwungen zu klagen. Auf Anforderung des Gerichts reicht der Kläger zu 1) diverse Unterlagen ein, auch Kopie eines “Subunternehmer Vertrag„, der als Auftraggeber “B… & B… Dienstleistungs GmbH„ ausweist.

Nach den eingereichten Unterlagen ist den Klägern im streitigen Zeitraum folgendes Einkommen zugeflossen (Überweisung bzw. Barzahlung gemäß Quittungen):

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Mai 2011: 1.848 € Kindergeld + 300 € Elterngeld + 650 € Erwerbstätigkeit

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Juni 2011: 1.848 € Kindergeld + 650 € Erwerbstätigkeit

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Juli 2011: 1.848 € Kindergeld + 650 € Erwerbstätigkeit

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August 2011: 1.848 € Kindergeld + 620 € Erwerbstätigkeit

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September 2011: 1.848 € Kindergeld + 600 € Erwerbstätigkeit

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Oktober 2011: 1.848 € Kindergeld + 650 € Erwerbstätigkeit

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November 2011: 1.848 € Kindergeld + 1.125 € Elterngeld + 670 € Erwerbstätigkeit

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