Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingliederung von behinderten Menschen: Eingliederungshilfe. Kostenübernahme für einen Einzelfallhelfer zur Teilhabe an einer Tagesfördergruppe
Orientierungssatz
1. Besteht im Einzelfall zumindest die Möglichkeit, einem Behinderten, der aufgrund seiner Behinderung (hier: Autismus) selbst nicht in der Lage ist, Kontakt zu anderen Menschen außerhalb des engen familiären Umfelds aufzunehmen und zu unterhalten, im Rahmen der Eingliederungshilfe durch die Bereitstellung eines Einzelfallhelfers ihm die Teilnahme an einer Tagesfördergruppe und die Ausübung einer angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen, so besteht ein Anspruch auf eine solche Eingliederungshilfe. Das gilt schon dann, wenn durch die Maßnahme zumindest kleinste Erfolge bei der Integration in die Gesellschaft erwartet werden können.
2. Der Förder- und Betreuungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen als Einrichtung gemäß § 136 Abs. 3 SGB 9 kommt als Tagesfördereinrichtung auch zur Nutzung durch solche Behinderte in Betracht, die nicht werkstattfähig sind. Dies gilt erst recht, wenn zumindest ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Tätigkeit perspektivisch durch Einsatz eines Einzelfallhelfers erreicht werden kann.
3. Eine nicht vorhersehbare und von einer Partei nicht zu vertretende Verzögerung im Postlauf ist eine ausreichende Entschuldigung für das Versäumen der Klagefrist und führt zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.
Tenor
1. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 21. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2010 wird aufgehoben.
2. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 19. November 2012 wird aufgehoben.
3. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 16. Februar 2010 die Kosten eines Einzelfallhelfers für die Tagesfördergruppe der Werkstatt für behinderte Menschen der Lebenshilfe in F. zu gewähren.
4. Die Anträge des Beigeladenen zu 4. werden abgewiesen.
5. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger begehrt, ihm den Besuch der Werkstatt für behinderte Menschen in F. zu ermöglichen.
Der 1990 geborene Kläger leidet an einem frühkindlichen Autismus mit einer stark verzögerten geistigen und sprachlichen Entwicklung. Er ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie den Merkzeichen “G„ (Gehbehinderung), “H„ (Hilflosigkeit) und “B„ (Begleitperson im Personennahverkehr). Der Kläger besuchte einen heilpädagogischen Kindergarten und anschließend eine Förderschule für geistig Behinderte. Während des Schulbesuchs wurde er von einem Integrationshelfer begleitet, der von dem Deutschen Roten Kreuz, dem Beigeladenen zu 2., gestellt und von dem Beklagten finanziert wurde. Der Kläger bezieht laufende Geldleistungen der Pflegestufe 3 von der Pflegekasse, der Beigeladenen zu 3. Er wird von seiner Mutter als Betreuerin vertreten.
Am 18. September 2008 beantragte der Kläger, vertreten durch seine Mutter und seinen zwischenzeitlich verstorbenen Vater, beim Beklagten die Kostenübernahme für einen Einzelfallhelfer zur Aufnahme in die Werkstatt für behinderte Menschen der Lebenshilfe F., der Beigeladenen zu 1. Es sei beabsichtigt, ihn nach den Sommerferien 2009 in der Werkstatt für behinderte Menschen unterzubringen. Dies sei jedoch nur bei einer 1-zu-1-Betreuung durch einen persönlichen Integrationshelfer möglich. In einem Gutachten mit symptombezogener Untersuchung durch den Ärztlichen Dienst vom 31. Oktober 2008, welches die Agentur für Arbeit O. zur Vorbereitung des Übergangs von der Schule in die Werkstatt für behinderte Menschen durch ihren ärztlichen Dienst (Dr. P.) eingeholt hatte, wurde festgestellt, dass der Kläger zwar gemeinschaftsfähig ist, seine Erkrankung jedoch auch in der Werkstatt für behinderte Menschen eine Einzelbetreuung erforderlich mache, da eine Weglauftendenz bestehe und er Gefahren nicht richtig einschätzen könne.
Laut amtsärztlicher Stellungnahme vom 31. Juli 2009 bestünden beim Kläger erhebliche Selbstgefährdungspotenziale mit Weglauftendenzen und fehlender Risiko- und Gefährdungseinschätzung. Die Arbeitsversuche hätten gezeigt, dass die Werkstatt nicht über das erforderliche und qualifizierte Personal verfüge, das dem Behinderungsbild des Klägers gerecht werde. Nur unter heilpädagogischer Betreuung könne ein Mindestmaß an wirtschaftlicher verwertbarer Arbeit erbracht werden. Die Werkstatt für behinderte Menschen F. erfülle diese Anforderungen nicht.
Gemäß psychologischer Untersuchung vom 16. September 2009 seien die klägerischen kognitiven und psychomotorischen Fähigkeiten bezogen auf die Mitarbeiter der Werkstatt für behinderte Menschen als weit unterdurchschnittlich zu interpretieren. Das Eingangsverfahren erscheine als geeignete Maßnahme, um dem Kläger die Eingliederung ins Arbeitsleben zu ermöglichen, wenn eine sichere Umgebung für ihn bestünde.
In der Zeit vom 01. September 2009 bis 30. November 2009 besuchte der Kläger im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Kosten ...