Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. kein Leistungsausschluss bei Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB

 

Orientierungssatz

Eine Ersatzfreiheitsstrafe, die nach § 43 StGB an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt, ist keine Freiheitsentziehung iS des § 7 Abs 4 S 2 SGB 2.

 

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (S 26 AS 1119/09) gegen den Aufhebungsbescheid vom 15.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2009 wird angeordnet.

Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers hat die Antragsgegnerin zu erstatten.

II. Dem Antragsteller wird für das Antragsverfahren rückwirkend Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt YI. bewilligt.

 

Gründe

1. Der am 16.08.1985 geborene Antragsteller wendet sich gegen eine Leistungseinstellung aufgrund eines Aufenthaltes in einer Justizvollzugsanstalt (JVA). Zuvor bezog er von der Antragsgegnerin laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt mit Bescheid vom 30.01.2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 10.02.2009 bewilligte die Antragsgegnerin für den Zeitraum 01.02.2009 bis 31.07.2009 monatliche Leistungen in Höhe von 641,00 Euro.

Am 13.04.2009 trat der Antragsteller in der JVA A-Stadt eine Ersatzfreiheitsstrafe an. Die Entlassung soll voraussichtlich am 10.07.2009 erfolgen.

Mit Schreiben vom 15.05.2009 erhielt der Antragsteller Gelegenheit, bis zum 01.06.2009 zu einer beabsichtigten Erstattung bereits gewährter Leistungen für den Zeitraum 13.04.2009 bis 31.05.2009 Stellung zu nehmen. Mit Bescheid vom selben Tag hob sie ihre Bewilligungsentscheidung für den Zeitraum ab dem 13.04.2009 ganz auf.

Mit Schreiben vom 08.06.2009, am Folgetag bei der Antragsgegnerin eingegangen, legte der inzwischen anwaltlich vertretene Antragsteller Widerspruch gegen “den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15.5.2009„ ein. Er verweist unter Berufung auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts A-Stadt darauf, dass die Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses bei einer Ersatzfreiheitsstrafe nicht vorlägen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2009 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch mit der Begründung zurück, auch eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB führe zu einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II.

Am 16.06.2009 hat der Antragsteller den vorliegenden Eilantrag gestellt und zugleich Klage erhoben (S 26 AS 1119/09), die noch anhängig ist. Die Antragsgegnerin ist dem Eilantrag unter Verweis auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren entgegen getreten.

Die Leistungsakten der Antragsgegnerin (21402BG0033955 - 2 Bände) haben dem Gericht vorgelegen.

2. Der Antrag bedarf der Auslegung. Maßstab ist § 123 SGG in entsprechender Anwendung. Danach entscheidet das Gericht über den erhobenen Anspruch, ohne an die Fassung des Antrages gebunden zu sein. Der Antrag des Antragstellers ist zusammen mit der Begründung der Antragsschrift zu sehen. Danach begehrt er, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15.05.2009 anzuordnen. Nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen ist ein Erstattungsbescheid bisher nicht erlassen. Dem Erlass dieses Bescheides diente das Anhörungsschreiben. Unter dem 15.05.2009 findet sich alleine ein Aufhebungsbescheid (der anscheinend ohne vorherige Anhörung erging). Das Gericht geht im Übrigen davon aus, dass der nahezu gleich lautende Aufhebungsbescheid vom 14.05.2009 durch den Aufhebungsbescheid vom 15.05.2009 aufgehoben wurde. Der Antrag des Antragstellers ist deshalb in dem Sinne auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Aufhebungsbescheid vom 15.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2009 angeordnet werden soll. Einem Widerspruch gegen einen Erstattungsbescheid würde ohnehin aufschiebende Wirkung zukommen. Denn er fällt nicht unter die Regelung des § 39 Nr. 1 SGB II.

Der so verstandene und nach §§ 86a Abs. 2 Nr. 4, 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 1 SGB II statthafte Antrag ist begründet. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Klägers, den Vollzug des Bescheides bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren auszusetzen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen sofortiger Vollziehung überwiegt. Die aufschiebende Wirkung einer Klage ist in der Regel bereits dann anzuordnen, wenn sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist (vgl. nur OVG Bremen, Beschl. v. 10.10.2008 - S2 B 458/08 -). Anderenfalls bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung.

Der Aufhebungsbescheid ist offensichtlich rechtswidrig. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X liegen nicht vor. Dem Bescheid lässt sich bereits nicht entnehmen, auf welchen Aufhebungstatbestand sich die Entscheidung stützt (Nr. 4?). Es bestehen aber auch Bedenken gegen seine formelle Rechtmäßigkeit, w...

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