Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. keine Kürzung der Regelleistung wegen freier Verpflegung im Krankenhaus. keine Einkommensberücksichtigung. Nachzahlung nach Überprüfungsantrag
Leitsatz (amtlich)
1. Wegen eines stationären Krankenhausaufenthalts im Jahr 2006 durfte die Regelleistung nicht gekürzt werden (vgl BSG vom 18.6.2008 - B 14 AS 22/07 R = BSGE 101, 70 = SozR 4-4200 § 11 Nr 11).
2. Wenn der Hilfebedürftige einen Überprüfungsantrag stellt, ist ein solcher nicht gem § 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 iVm 330 Abs 1 SGB 3 ausgeschlossen; die Leistungen müssen dem Hilfebedürftigen daher nachgezahlt werden.
Orientierungssatz
Die Verpflegungsleistungen im Krankenhaus bzw einer Rehabilitationseinrichtung sind auch mangels Geld- bzw Marktwert kein zu berücksichtigendes Einkommen gem § 11 SGB 2.
Tenor
Der Änderungsbescheid der Beklagten vom 23. Mai 2006 und der Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 5. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2009 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger in der Zeit vom 1. April bis zum 3. Mai 2006 ungekürzte Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger (Kl.) wendet sich gegen die Kürzung der Regelleistung wegen eines Krankenhaus- und anschließenden Rehabilitationsaufenthalts.
Der 1946 geborene Kläger steht im laufenden Leistungsbezug bei der Beklagten. In der Zeit vom 28. März bis zum 3. Mai 2009 unterzog er sich einer stationären Hüftoperation mit anschließender Rehabilitation. Mit Änderungsbescheid vom 23. Mai 2006 änderte die Beklagte den ursprünglichen Leistungsbescheid für die Zeit vom 1. April bis 3. Mai 2006 ab. Dabei kürzte sie die Regelleistung im April 2006 um 120,75 und im Mai 2006 um 12,08 Euro. Zur Begründung verwies sie auf den stationären Aufenthalt und erklärte, der Kläger habe in dieser Zeit Vollverpflegung erhalten. Daher sei die Kürzung vorzunehmen. Am 2. Februar 2009 beantragte der Kläger die rückwirkende Bewilligung dieser Beträge. Er erklärte, er habe inzwischen erfahren, dass es für die vorgenommene Kürzung keine Rechtsgrundlage gegeben habe. Mit Bescheid vom 5. Februar 2009 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Sie erklärte, nach ihrer Überprüfung sei der Bescheid nicht zu beanstanden. Weder sei das Recht unrichtig angewandt worden, noch sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden. Die neue Gesetzeslage sei erst zum 1. Januar 2008 rückwirkend in Kraft getreten. Die Jahre 2006 und 2007 könnten nicht berücksichtigt werden. Mit seinem am 20. Februar 2009 (Eingangstempel 23. Februar 2009) erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, dieser Rechtsauffassung könne nicht gefolgt werden. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 18. Juni 2008 zutreffend festgestellt, dass eine Kürzung der Regelleistung bei stationären Aufenthalten rechtswidrig gewesen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2009 zurück. Darin heißt es, aufgrund des genannten Urteils habe es in der Tat eine Rechtsanwendung (gemeint wohl: Rechtsänderung) gegeben, die jedoch nur für die Zeit ab dem 1. Januar 2008 gelte. Bei einem stationären Aufenthalt aus dem Jahre 2006 könne “nur nach der damals gültigen Rechtsauffassung geprüft werden„. Die Rechtsänderung komme damit nicht zum Tragen. Gem. § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 1 SGB III könne ein Verwaltungsakt, der auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur für Arbeit ausgelegt worden sei, nach Unanfechtbarkeit nur mit Wirkung für die Zeit ab dem Bestehen der neuen Rechtsprechung zurückgenommen werden. Die Entscheidung sei damit nicht zu beanstanden.
Der Kläger hat am 15. Juni 2009 Klage erhoben, zu deren Begründung er sich auf die Rechtsprechung des VG Bremen, des LSG Nordrhein-Westfalen, des LSG Niedersachsen-Bremen, des SG Detmold, des SG Freiburg, des SG Berlin, des SG Oldenburg, des SG Gotha, des SG Schleswig und des SG Mannheim bezieht.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm in der Zeit vom 1. April bis zum 3. Mai 2006 ungekürzte Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid. Sie sehe keine Möglichkeit, ihre Entscheidung abzuändern oder aufzuheben, zumal nach ihrer Auffassung erst mit dem Urteil des BSG vom 18. Juni 2008 eine ständige Rechtsprechung gegeben gewesen sei.
Die Beteiligten sind wegen der Entscheidung durch Gerichtsbescheid mit gerichtlichem Schreiben vom 20. August 2009 angehört worden.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts u...