Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Grundsicherung für Arbeitssuchende. schwankendes Einkommen. fehlende vorläufige Bewilligung. keine Rücknahme oder Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 45 oder § 48 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Bei schwankendem Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit ist trotz der Vorschrift des § 2 Abs 3 S 1 AlgIIV (juris: AlgIIV 2008) vorläufig zu bewilligen.
2. Eine Aufhebung der Bewilligung gem § 48 SGB 10 scheidet aus, weil keine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist.
3. Die Kenntnis bzw das Kennenmüssen gem § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10 muss sich auf den Umstand der fehlenden Vorläufigkeit beziehen.
Tenor
I. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 18.08.2009 in Gestalt der geänderten Bescheide vom 03.03.2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 04.03.2010 werden aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung und Erstattung von Bewilligungen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum von Januar bis Mai 2009.
Die Kläger stellten am 30.10.2008 einen Antrag auf Fortzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Hierbei wurden Einkommensbescheinigungen des Klägers für seine Beschäftigung bei der XX AG für die Monate April bis September 2008 eingereicht. Diesen Bescheinigungen ist auch zu entnehmen, dass das Einkommen monatlich nicht gleich hoch ist.
Mit Bescheid vom 20.11.2008 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2008 bis zum 31.05.2009. Das Nettoerwerbseinkommen des Klägers zu 3. wurde in Höhe von 1.500,00 € bemessen.
Unter dem Punkt „Wichtige Erläuterungen/Hinweise zu Ihrem Bescheid“ führt der Beklagte folgendes aus: „Aus den vorgelegten Verdienstbescheinigungen vom Juni bis September ist ersichtlich, dass das monatliche Einkommen Ihres Partners in der Höhe differiert. Um Überzahlungen zu vermeiden, habe ich deshalb, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, das bisher angerechnete Einkommen der Leistungsberechnung weiterhin zu Grunde gelegt. Unabhängig davon reichen Sie uns bitte weiterhin bei schwankenden Einkünften monatlich die Verdienstbescheinigung ein. Nach Ablauf des aktuellen Bewilligungsabschnitts erfolgt dann eine Überrechnung des Leistungsanspruchs unter Berücksichtigung des tatsächlichen Einkommens. In diesem Zusammenhang errechnete Nachzahlungsbeträge werden anschließend in einer Summe nachgezahlt. Sollten sich dennoch Überzahlungsbeträge ergeben werden auch diese im Nachhinein ermittelt und ggf. mit Nachzahlungsbeträgen verrechnet…“ (Bl. 235 der Verwaltungsakte).
Am 18.08.2009 erließ der Beklagte für die Klägerinnen zu 1. und 2. und für den Kläger zu 3. jeweils einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für die Bewilligungszeiträume Januar, März, April und Mai 2009. Es wurden Leistungen in Höhe von 136,46 € und in Höhe von 84,07 € für diese Zeiträume zurückgefordert.
Am 18.09.2009 legten die Kläger gegen diese Bescheide Widersprüche ein.
Am 03.03.2010 erließ der Beklagte für die Klägerinnen zu 1. und 2. und für den Kläger zu 3. jeweils einen geänderten Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für die Bewilligungszeiträume Januar bis Mai 2009. Es wurden nunmehr Leistungen in Höhe von 252,76 € und in Höhe von 155,74 € zurückgefordert.
Am 04.03.2010 erließ der Beklagte gegenüber den Klägerinnen zu 1. und 2. und gegenüber dem Kläger zu 3. einen Widerspruchsbescheid. Die Widersprüche wurden nach Erteilung der Änderungsbescheide vom 03.03.2010 als unbegründet zurückgewiesen. Ausweislich der Begründung wurde die Änderung der Bescheide auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gestützt.
Am 29.03.2010 haben die Kläger beim Sozialgericht Chemnitz Klage erhoben.
Sie sind der Auffassung, dass der Bewilligungsbescheid von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, da er nicht vorläufig gewesen sei. Dementsprechend könne die Änderung nicht auf § 48 SGB X gestützt werden. In Betracht käme nur § 45 SGB X. Sie würden jedoch Vertrauensschutz genießen. Sie hätten nicht gewusst und hätten auch nicht erkennen müssen, dass der Bewilligungsbescheid hätten vorläufig ergehen müssen.
Die Kläger beantragen,
die Bescheide der Beklagten vom 18.08.2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 03.03.2010 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 04.03.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt die angegriffene Entscheidung. Er ist der Auffassung, dass sich die grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit nicht auf die fehlende Vorläufigkeit beziehen müsse, sondern auf die Tatsache des schwankenden Einkommens und der Möglichkeit der nachträglichen Überrechnung des Einkommens nach Vorlage der Einkommensbescheinigungen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten und die in der Gerichtsakte enthaltenen Schrif...