Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. fiktive Terminsgebühr. Teilanerkenntnis. volles Anerkenntnis. Abgrenzung. Ermittlung des Klagebegehrens. Rente. Erledigungsgebühr. keine Kostenfestsetzung nur über einzelne Gebührentatbestände. unvollständiger Kostenfestsetzungsantrag. Hinweispflichten des Urkundsbeamten
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beurteilung, ob kostenrechtlich ein Teilanerkenntnis oder ein volles Anerkenntnis vorliegt kommt es alleine auf die Frage an inwieweit dem Klagebegehren nachgekommen ist. Hierfür ist das Klagebegehren ggf durch Auslegung zu ermitteln.
2. Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, wenn eine Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrt wird, stellt regelmäßig nur ein Teilanerkenntnis dar.
3. Das Anerkenntnis iS der VV RVG 3106 Nr 3 (juris: RVG-VV) beinhaltet nur das sog volle Anerkenntnis. Bei einem Teilanerkenntnis fällt eine Erledigungsgebühr iS der VV RVG 1000ff an, wenn der Anwalt dahingehend auf den Mandanten einwirkt, dass er sich mit dem Teilanerkenntnis zufrieden gibt.
4. Der Urkundsbeamte setzt bei der Kostenfestsetzung den Betrag der gesamten zu erstattenden außergerichtlichen Kosten fest. Einzelne Gebührentatbestände sind einem Anerkenntnis oder Vergleich nicht zugänglich. Sofern einzelne Gebührenpositionen unter den Beteiligten "nicht im Streit stehen" hat der Urkundsbeamte von Amts wegen diese auch zu berücksichtigen und zu prüfen. Er kann und muss ggf sogar einzelne Gebührenpositionen in der Festsetzung unberücksichtigt lassen, auch wenn die Beteiligten hierüber nicht streiten.
5. Auf die Folgen eines unvollständigen Kostenfestsetzungsantrages hat der Urkundsbeamte im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens die Beteiligten hinzuweisen.
Orientierungssatz
Das Erinnerungsverfahren stellt eine eigenständige Angelegenheit dar, für die nach § 193 SGG eine eigene Kostenentscheidung zu erfolgen hat.
Tenor
1. Die Kostenfestsetzung des Sozialgerichts Cottbus vom 21. März 2015 wird aufgehoben.
2. Die Beteiligten haben einander die außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsverfahrens nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Billigkeit der Höhe der festgesetzten Gebühren und den Anfall einer Erledigungs- oder fiktiven Terminsgebühr für die Abgabe eines (Teil) Anerkenntnisses.
Die Klägerin begehrte in dem Verfahren S 11 R 194/13 die Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 10. Januar 2012 (Rentenantragsstellung). Der Klageantrag enthielt keinen Hinweis auf den Beginn der Rente. Aus der Klagebegründung ging als frühestmöglicher Zeitpunkt der Zeitpunkt der Antragsstellung hervor.
Im Klageverfahren erkannte der Beklagte (im schriftlichen Verfahren, ohne dass ein Termin statt gefunden hätte) die Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit an.
Im Kostenfestsetzungsverfahren ging die Beklagte vom Vorliegen eines “vollen Anerkenntnisses„ und damit von der Anwendbarkeit von VV RVG 3106 Absatz 3 aus. Eine Erledigungsgebühr berücksichtigte die Beklagte nicht. Insgesamt zahlte die Beklagte, ohne auf ein gerichtliches Kostenfestsetzungsverfahren zu warten an die Klägerbevollmächtigte die Summe von 625,22 Euro.
Die Bevollmächtigte beantragte beim Sozialgericht Cottbus die Festsetzung von Gebühren in Höhe von 226,10 Euro für eine Gebühr nach den VV RVG 1005, 1006 nebst Steuern.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. März 2015 setzte die Urkundsbeamte des Sozialgerichts Cottbus diese Summe antragsgemäß fest. Über die weiteren Gebühren wurde keine Kostenfestsetzung getroffen.
Die Beklagte hat gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss das Gericht angerufen.
Die Beklagte ist der Auffassung, es läge ein volles Anerkenntnis vor, so dass eine fiktive Terminsgebühr entstanden sei.
Eine Anschlusserinnerung wurde nicht eingelegt.
Die Klägerbevollmächtigte ist der Auffassung, es läge nur ein Teilanerkenntnis vor, mit der Folge, dass eine Erledigungsgebühr angefallen sei. Die Terminsgebühr sei allerdings trotzdem als reale Terminsgebühr angefallen.
Die Kammer hat den Beteiligten rechtliches Gehör gewährt.
II.
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1. |
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Die Erinnerung ist zulässig. Nach § 197 Absatz 2, in Verbindung mit § 178 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten das Gericht angerufen werden. Das statthafte Rechtsmittel ist daher die Erinnerung. Es ergibt sich zwar keine ausdrückliche Verweisung auf § 178 SGG, diese ergibt sich aber aus der Systematik des SGG und dem Wortlaut des § 178 SGG. Die maßgebliche Monatsfrist ist offenkundig gewahrt worden. Die Erinnerung erfolgte schriftlich. |
Die Gebührenvorschriften sind in der Fassung des VV RVG und RVG vor dem 1. August 2013 anzuwenden, da der unbedingte Auftrag zur Geschäftsbesorgung vor dem 1. August 2013 erteilt wurde, vgl. § 60 RVG.
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2. |
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Die Gebühren sind im Ergebnis rechtswidrig festgesetzt worden. Die Festsetzung nur der Erledigungsgebühr durch das Gericht ist dabei dem Grunde nach schon rechtswidrig gewesen. Es kann keine Kostenfestsetzung nur über einzelne Gebü... |