Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Sicherungspflege. Schulbegleitung bei Diabetes. Abgrenzung zur Eingliederungshilfe nach der Zielrichtung. Bewältigung des Schulalltags bei Eingliederungshilfe. medizinische Beobachtung und Interventionsmöglichkeit bei Sicherungspflege
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Schulbegleitung bei Diabetes ergibt sich aus§ 37 Abs 2 S 1 SGB V .
Orientierungssatz
1. Die Abgrenzung zwischen Eingliederungshilfe und (Behandlungs-)Sicherungspflege erfolgt nach der Zielrichtung der Leistung.
2. Dient die Leistung der Bewältigung von Anforderungen des Schulalltags (Integrationshelfer/ Teilhabeassistent), ist der Bedarf der Eingliederungshilfe nach §§ 75 , 90 Abs 4 , 112 SGB 9 (juris: SGB 9 2018) zuzuordnen.
3. Handelt es sich hingegen um die Notwendigkeit, die körperliche Situation zu beobachten und ggf in medizinisch-pflegerischer Hinsicht zu intervenieren, so handelt es sich um Sicherungspflege nach § 37 Abs 2 S 1 SGB 5.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 04.12.2023 bis zum 07.02.2024 oder einer vorherigen rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege (Sicherungspflege) für den Schulbesuch in der D-schule, C-Straße, A-Stadt von Montag bis Freitag von 08.00 Uhr bis 12.25 Uhr zur Verfügung zu stellen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes darüber, ob die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine erforderliche Schulbegleitung zur Verfügung zu stellen hat.
Der 2017 geborene Antragsteller ist im Rahmen der Familienversicherung bei der Antragsgegnerin krankenversichert und bei der Pflegekasse der Antragsgegnerin pflegeversichert. Für den Antragsteller wurde ein Grad der Behinderung von 40 sowie das Merkzeichen „H“ festgestellt.
Der Antragsteller besucht seit dem 01.09.2023 die erste Klasse der D-schule in A-Stadt.
Im Juli 2023 erfolgte die Erstmanifestation eines Diabetes mellitus Typ 1. Seitdem ist der Antragsteller mit einer Insulinpumpe und Blutzuckersensor versorgt.
Mit Erstverordnung häuslicher Krankenpflege für den Zeitraum 05.09.2023 bis 01.01.2024 und ärztlichem Attest jeweils vom 18.07.2023 des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin C-Stadt wurde für den Antragsteller die Gewährung einer Schulbegleitung zur Sicherstellung der Insulintherapie und Überwachung hinsichtlich Unterzuckerungen beim Schulbesuch beantragt. Zur Begründung wurde angegeben, dass es aufgrund des jungen Alters des Antragstellers einer stetigen und intensiven Überwachung der Blutzuckerwerte durch Dritte bedürfe. Nach der Verordnung bedürfe es einer individuellen Blutzuckerüberwachung mit entsprechender Insulininjektion bei intensivierter Insulintherapie Montag bis Freitag 4-5 Stunden aufgrund der Diagnose E 10.00 G (Diabetes mellitus, Typ 1).
Die Antragsgegnerin beauftragte den Medizinischen Dienst Hessen (MD Hessen) mit einer gutachterlichen Stellungnahme.
Der MD Hessen kam in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 09.08.2023 zu dem Ergebnis, dass nachvollziehbar sei, dass der Antragsteller aufgrund seines Alters das Management seiner Erkrankung mit vollumfänglicher Therapie (z. B: Therapieanpassungen bei Sport und Bewegungen) noch nicht alleine übernehmen könne. Es könne bei dem Antragsteller jederzeit zu einer Unterzuckerung kommen, welche das zeitnah und adäquate Eingreifen einer geschulten Person erforderlich mache. Es bedürfe einer kundigen Person, welche die Therapie mit verantworte. Die Blutzuckerprotokolle seien nicht vorgelegt worden. Die Notwendigkeit einer Schulbegleitung könne sozialmedizinisch nachvollzogen werden. Der MD Hessen äußerte darüber hinaus - die rechtliche Auffassung - dass dies jedoch keiner Leistung der medizinischen Behandlungspflege nach dem SGB V entspreche.
Die Antragsgegnerin lehnte hierauf mit Bescheid vom 05.09.2023 den Antrag mit der Begründung ab, dass die Notwendigkeit einer Schulbegleitung sozialmedizinisch nachvollzogen werden, dies jedoch keiner Leistung der medizinischen Behandlungspflege nach dem SGB V entspreche.
Gegen die Ablehnung wandte sich der Antragsteller mit Widerspruch vom 19.09.2023.
Am 22.09.2023 beantragte der Antragsteller zudem bei dem Kreisausschuss Groß-Gerau die Übernahme der Kosten für eine Schulbegleitung. Dieser leitete den bei ihm eingegangen Antrag mit Schreiben vom 27.09.2023 an die Antragsgegnerin nach§ 14 SGB IX weiter. Beigefügt waren eine Stellungnahme des Schulleiters des Antragstellers, ein Bericht der zuvor besuchten Kindertagesstätte, Aufzeichnungen des Glukosesensors-Messsystems für den Zeitraum 14.08.2023 bis 12.09.2023 sowie ein Schreiben der Universitätsmedizin C-Stadt vom 18.09.2023. Dr. H. führte darin aus, dass der Antragsteller mit einer CSII-Therapie behandelt werde. Ergänzend werde durch einen G...