Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Übernahme von Heilbehandlungskosten für eine bariatrische Operation in Form einer Schlauchmagenoperation. Eintritt der Genehmigungsfiktion bei nicht rechtzeitig erfolgter Entscheidung. Anforderung an die Wirksamkeit einer Fristverlängerung bei Verzögerung der Entscheidung über einen Antrag auf Kostenübernahme
Orientierungssatz
1. Hat die Krankenkasse einem Versicherten auf dessen Leistungsantrag (hier: Übernahme der Kosten einer Schlauchmagenoperation bei Übergewicht) mitgeteilt, dass sich die Entscheidung verzögern wird, so hindert das den Eintritt der Genehmigungsfiktion durch Ablauf der Entscheidungsfrist nur dann, wenn gegenüber dem Versicherten eine datumsgenaue Angabe erfolgt, bis zu welchem Tag die Entscheidung erfolgen wird.
2. Jedenfalls bei einer massive Adipositas mit einem Body-Mass-Index (BMI) von wenigstens 30 liegt eine behandlungsbedürftige Krankheit vor, die jedenfalls dann einen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer adipositas-chirurgische Maßnahme (hier: Schlauchmagenoperation) zur Gerichtsreduzierung begründet, wenn ein BMI von mindestens 40 vorliegt und konservativen Behandlungsmaßnahmen bereits ohne Erfolg durchgeführt wurden.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 29. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten einer bariatrischen Operation in Form des Schlauchmagens in einem zugelassenen Krankenhaus zu übernehmen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, nachdem der Kläger seinen ursprünglichen Feststellungsantrag infolge des Erlasses des Widerspruchsbescheides umgestellt hatte, jetzt um die Kostenübernahme einer bariatrischen Operation (Schlauchmagen) zur Gewichtsreduktion.
Der inzwischen 40-jährige Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert und stellte im Januar 2016, eingegangen bei der Beklagten am 1. Februar 2016, Antrag auf Kostenübernahme eines adipositaschirurgischen Eingriffs in Form des Schlauchmagens zur Behandlung seines Übergewichtes, dass er bei einer Körpergröße von 172 cm mit einem Gewicht von 134,5 kg (BMI 45,3) angab. Er habe bereits mehrere Versuche der Gewichtsabnahme auch mittels Diäten in Eigenregie durchgeführt, die sämtlich erfolglos geblieben seien. Beigefügt hat er eine Reihe von Unterlagen, so ein "Gutachten" des Saunaklinikums Offenbach, indem Professor Doktor C. am 06.01.2016 die medizinische Indikation für die Durchführung der Operation mit Bildung eines Schlauchmagens angesichts des bestehenden Übergewichtes des Grades III sowie fehlender Kontraindikationen befürwortet hatte. Ebenso lag dem ein psychologisches Gutachten der systemischen Psychotherapeutin D. vor, in der diese angesichts der Jugend und der starken Motivation des Klägers eine gute Compliance bestätigt hatte, wie auch eine Teilnahmebestätigung an einer Ernährungsberatung durch Dr. E. vom 28.12.2014 und eine Stellungnahme seines Hausarztes Dr. F. vom 21.12.2015, indem dieser zum einen die extreme Adipositas und zum anderen eine fehlende eigene Möglichkeit zur Gewichtsreduktion bestätigt hat.
Mit Schreiben vom 02.02.2016 bestätigte die Beklagte nicht nur den Eingang des Antrages, sondern forderte den Kläger zur Vervollständigung seines Antrages um Vorlage eines Ernährungs-Tagebuchs über 14 Tage, eines ärztlichen Nachweises über mindestens 6 bis 12-monatige Therapien zur Ernährung, Bewegung und Psyche, sowie einen ausgefüllten Fragebogen zur Adipositaschirurgie. Denn sie wolle den medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) zur Erstellung eines Gutachtens auffordern. Da der Kläger zunächst nicht reagiert hatte, erinnerte die Beklagte mit Schreiben vom 18.02.2016 daran und forderte erneut - diesmal unter Fristsetzung zum 02.03.2016 - zur Vorlage der erbetenen Unterlagen auf und wies gleichzeitig darauf hin, dass sonst Ablehnung mangels Mitwirkung erfolgen würde. Die Unterlagen (Attest der Endokrinologin Dr. G. vom 26.02.2016, Ernährungstagebuch wie der Fragebogen bezüglich der Kostenübernahme einer bariatrischen Operation wegen Übergewichts) gingen per Fax am 04.03.2017 bei der Beklagten ein, woraufhin diese am 07.03.2016 die Unterlagen an den medizinischen Dienst der Krankenkassen zur Erstellung eines Gutachtens übersandte. Am gleichen Tag wurde der Kläger darüber informiert, dass eine Leistungsentschädigung nicht innerhalb der gesetzlichen Frist möglich sei, da die zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen erst am 04.03.2016 bei ihr eingegangen seien. Sobald das Gutachten vorliege würde sie den Antrag weiter bearbeiten.
Am 23.03.2016 stellte der begutachtende Arzt Dr. H. fest, dass keine primäre Indikation zur operativen Gewichtsreduktion im Sinne eines Ultima Ratio gegeben sei, zumal besonders schwere Begleit- und Folgeerkrankungen ebenso wenig vorlägen, wie ein BMI über 50 oder sonstige persönliche psychosoziale Umstände, die keinen Erfolg einer Lebensstiländerung in Aussicht stellten....