Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Untätigkeitsklage. Gewährleistung der Widerspruchsbescheidung durch die Behörde innerhalb der gesetzlichen Frist. dauerhaft unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung. kein zureichender Grund für Nichtbescheidung
Leitsatz (amtlich)
Die Behörde hat gegenüber dem Leistungsberechtigten grundsätzlich zu gewährleisten, dass ihre Abläufe so organisiert sind, dass eine Bescheidung eines Widerspruchs innerhalb der dreimonatigen Frist des § 88 Abs 1 S 1, Abs 2 SGG erfolgen kann. Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung eines Widerspruchs liegt dann nicht vor, wenn bei der Behörde dauerhaft eine unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung vorliegt und eine zeitgerechte Erledigung deshalb nicht möglich ist.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, über den am 31.05.2021 eingelegten Widerspruch zu entscheiden.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Untätigkeit des Beklagten bezogen auf einen Widerspruch der Klägerin im Rahmen der Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die am 00.00.1983 geborene pflegebedürftige Klägerin befindet sich seit dem 00.00.2020 in der Pflegeeinrichtung "I, N Str. 0, 00000 C P" zur Pflege. Mit Unterbringung in die Pflegeeinrichtung stellte sie einen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den §§ 61ff. SGB XII.
Mit Bescheid vom 04.05.2021 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung führte er an, dass eine stationäre Einrichtung vorliege. Nach § 75 SGB XII könnten Leistungen nach dem 7. bis 9. Kapitel SGB XII bei einer vollstationären Pflege in der Regel nur dann gewährt werden, wenn eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Träger des Leistungserbringers und dem für den Ort der Leistungsberingung zuständigen Träger der Sozialhilfe bestehe. Eine solche liege nicht vor.
Die Klägerin legte am 31.05.2021 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass eine vollstationäre Pflege nicht vorliege. Es liege eine Wohngemeinschaft vor.
Die Klägerin hat am 21.06.2022 Untätigkeitsklage erhoben.
Sie trägt vor, dass eine Entscheidung über ihren Widerspruch weiterhin ausstehe. Der Beklagte habe ihr am 02.09.2021 mitgeteilt, dass die Bearbeitung aufgrund Personalmangels weitere Zeit in Anspruch nehme. Die bloße Mitteilung, dass er wegen personeller Überlastung eine Entscheidung nicht treffen könne, stelle keinen zureichenden Grund der Nichtbescheidung dar.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, über den am 31.05.2021 eingelegten Widerspruch zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er an, dass eine Entscheidung über den Widerspruch derzeit nicht möglich sei, da der Sachverhalt aufgrund fehlender Personalressourcen in der Vergangenheit noch nicht ausreichend ausermittelt worden sei. Am 26.07.2022 seien weitere Unterlagen angefordert worden. Aufgrund der Komplexität des Sachverhalts könne die weitere Dauer des Verfahrens nicht abgeschätzt werden.
Die Beteiligten sind gemäß § 105 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtgesetz (SGG) dazu gehört worden, dass das Gericht eine Entscheidung per Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGG beabsichtigt.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes und bezüglich des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Das Gericht hat vorliegend durch Gerichtsbescheid entschieden. Gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 SGG entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Wesentlich ist, dass im Rahmen der Amtsermittlungspflicht entscheidungserhebliche tatsächliche Umstände nicht offenbleiben (Schmidt in: Meyer-Ladewig, Keller, Leitherer, SGG, 13. Auflage 2020, § 105 Rn. 7).
Die Untätigkeitsklage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Die Klage ist zulässig. Sie ist als Untätigkeitsklage gemäß § 88 Abs. 1, Abs. 2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere war die dreimonatige Sperrfrist des § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG bei Klageerhebung am 21.06.2022 abgelaufen. Ist ein Widerspruch eingelegt worden, so ist die Klage nach § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG nicht vor Ablauf von drei Monaten seit Widerspruchseinlegung zulässig.
Die Klage hat in der Sache Erfolg. Der Beklagte hat über den am 31.05.2021 eingelegten Widerspruch nicht innerhalb von drei Monaten entschieden. Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung liegt nicht vor. Eine Untätigkeitsklage - bezogen auf einen eingelegten Widerspruch - hat gemäß § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG dann Erfolg, wenn dieser ohne zureichenden Grund in einer Frist von drei Monaten sachlich nicht beschieden worden ist.
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