Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges. Angewiesensein auf die Benutzung. Beschränkung auf die Kosten für einen Gebrauchtwagen zuzüglich der Kosten eines behindertengerechten Umbaus

 

Orientierungssatz

1. Ein behinderter Mensch ist auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen im Sinne des § 8 Abs 1 BSHG§47V bzw des § 9 Abs 2 Nr 11 BSHG§47V, wenn die Anschaffung des Kraftfahrzeuges zum Erreichen des Eingliederungsziels geeignet und unentbehrlich ist (vgl BSG vom 2.2.2012 - B 8 SO 9/10 R = SozR 4-5910 § 39 Nr 1 und vom 12.12.2013 - B 8 SO 18/12 R = FEVS 66, 5).

2. Das Angewiesensein auf ein Kraftfahrzeug ist zu verneinen, wenn die Teilhabeziele mit dem öffentlichen Personennahverkehr ggf unter ergänzender Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes zumutbar verwirklicht werden können (vgl BSG vom 2.2.2012 - B 8 SO 9/10 R aaO und vom 12.12.2013 - B 8 SO 18/12 R aaO).

3. Die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges nach § 8 BSHG§47V ist auf einen Betrag in Höhe von 9.500 Euro zur Anschaffung eines Gebrauchtwagens beschränkt.

4. Hinzu kommen Kosten für einen behindertengerechten Umbau des Fahrzeugs nach § 9 Abs 2 Nr 11 BSHG§47V.

 

Tenor

Der Bescheid vom 14.12.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.08.2018 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, die Kosten für ein behindertengerecht ausgestattetes Fahrzeug in Höhe von bis zu 28.500,- EUR zu übernehmen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin 3/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für die Anschaffung und den behindertengerechten Umbau eines Pkw als Leistung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII).

Die Klägerin ist im Jahre 1985 geboren, es bestand bei ihr bei der Geburt eine Spina bifida lumbalis, die operativ verschlossen wurde. Als Folgeerkrankung besteht eine inkomplette Querschnittlähmung mit Lähmung der unteren Extremitäten, der Blase und des Mastdarms. Sie kann nur kurze Strecken zu Fuß bewältigen und ist daher überwiegend auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Die Klägerin verfügt über einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100 und den Merkzeichen aG und B. Eine geistige Einschränkung besteht bei der Klägerin nicht, sie ist auch im Besitz einer Fahrerlaubnis.

Die Klägerin ist in einer Pflegefamilie aufgewachsen, in der sie bereits als Baby aufgenommen wurde. Sie ist selbst Mutter von zwei Kindern, die in den Jahren 2009 und 2013 geboren sind und mit denen sie gemeinsam in einem Haushalt lebt. Die Kinder besuchen mittlerweile beide die Schule, der ältere Sohn fährt selbstständig mit dem Bus dorthin, die Tochter wird häufig von der Adoptivschwester zur Schule gebracht, die eine Tochter im gleichen Alter hat. Als Einkommen stehen der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung zur Verfügung, die sich ab dem 01.07.2018 auf 1.039,28 EUR belief, darüber hinaus bezieht sie Wohngeld. Für die beiden Kinder erhält sie Kindergeld und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG).

Die Klägerin verfügt über einen Pkw des Typs Hyundai Getz, der im Jahr 2007 von den Pflegeeltern als Neufahrzeug angeschafft worden ist und der dann mit einer Handsteuerung und einem Knauf am Lenkrad ausgestattet worden ist, so dass die Klägerin ihn benutzen kann. Der behindertengerechte Umbau ist über eine Stiftung finanziert worden. Ein Rollstuhlverladesystem wurde nicht eingebaut. Das Fahrzeug hat eine Laufleistung von mehr als 160.000 km und es sind jetzt häufiger Reparaturen bzw. ein Austausch von Verschleißteilen erforderlich.

Die Klägerin beantragt am 16.01.2017 die Übernahme der Kosten für ein behindertengerechtes Fahrzeug bei dem Beklagten.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14.12.2017 ab, da die Klägerin nicht auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen sei. Die Kosten für die Fahrten zum Arzt und zu Therapien seien vor der Krankenkasse zu übernehmen und die übrigen Fahrten könnten durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und den Behindertenfahrdienst abgedeckt werden. Damit sei eine gewisse, jedenfalls als ausreichend einzuordnende Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft möglich.

Die Klägerin legte gegen den Bescheid am 12.01.2018 Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass sie auf die Benutzung eines Kfz angewiesen sei. Öffentlicher Verkehrsmittel seien in ihrem Ort nicht vorhanden, so dass sie die Fahrten mit einem Kfz durchführen müsse, insbesondere auch im Hinblick auf die beiden Kinder, die sie zu versorgen habe.

Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2018 zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Klägerin nicht auf die Benutzung eines Kfz angewiesen sei. In ländlichen Gebieten mit schlechter Verkehrsanbindung bestünden weniger Möglichkeiten der gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe. Dies gelte nicht nur ...

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