Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Die Kammer folgt nicht der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, wonach Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur unterliegen, wenn sie die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1949 geborene Klägerin begehrt höhere Rente ohne Abschläge wegen Rentebezugs vor dem 60. Lebensjahres. Sie bezog von November 2002 bis Ende 2004 befristet Erwerbsminderungsrente. Im Bewilligungsbescheid vom 23.03.2004 wurde der Zugangsfaktor von 1,0 für 23 Monate um 0,069 auf 0,931 Punkte vermindert (Anlage 6, Seite 1 des Bescheides). Die Beteiligten streiten derzeit vor dem Landessozialgericht über die Weitergewährung der Rente.

Am 27.12.2006 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Rentenhöhe hinsichtlich der Rentenabschläge und berief sich hierzu auf das Urteil des Bundessozialgericht vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R).

Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides vom 23.03.2004 mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.02.2007 mit der Begründung zurück, der BSG-Entscheidung sei nicht zu folgen. Die Beklagte habe in ihrer bisherigen Verwaltungspraxis und den dazu geführten Gerichtsverfahren § 77 Abs. 2 Satz 2 des 6. Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) so interpretiert, dass diese Vorschrift die Höhe des Abschlages bei Erwerbsminderungsrenten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet würden, auf die Abschlagshöhe begrenzt, die für den Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres gelte. Für Erwerbsminderungsrenten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres geleistet werden, sei danach der Zugangsfaktor um 10,8 Prozent zu mindern. Mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (EM Reformgesetz) sei die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten angeglichen worden. Dadurch hätten Ausweichreaktionen von Versicherten auf eine abschlagsfreie Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verhindert werden sollen. Des weiteren sei mit dem Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Zurechnungszeit verlängert worden (§ 59 SGB VI). Die Neuregelung der Zurechnungszeit ergebe eine beträchtliche Rentenerhöhung in den Fällen, in denen der Versicherte bereits in jungen Jahren erwerbsgemindert werde. Die über die gesamte Bezugsdauer hinzunehmende Rentenkürzungen aus der Verringerung des Zugangsfaktors fänden daher durch die Neuregelung der Zurechnungszeit eine hohe Kompensation. Besonders deutlich werde dies während der Übergangszeit. Das geltende Recht sei deshalb zutreffend angewandt worden. Den hiergegen unter Berufung auf das o.g. Urteil des BSG eingelegten Widerspruch wie die Beklagte am 11.04.2007 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 30.04.2007 erhobene Klage.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 01.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 23.03.2004 höhere Rente unter Zugrundelegung eines ungekürzten Zugangsfaktors von 1,0 und im Übrigen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Beurteilung der Sach- und Rechtslage und trägt ihre Rechtsauffassung noch einmal ausführlich unter konkreten Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien, mit einem Berechnungsbeispiel sowie unter Hinweis auf das schwer nachvollziehbare Ergebnis der notwendigen Minderung der nach dem BSG zunächst abschlagsfrei zu gewährenden Rente ab dem 60. Lebensjahr vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 01.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2007 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten.

Die Beklagte war nicht nach § 44 SGB X verpflichtet, den Bescheid vom 23.03.2004 teilweise aufzuheben und dem Kläger höhere Rente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.

Da der Bescheid über die Rentenhöhe vom 23.03.2004 bestandskräftig geworden ist, ist Rechtsgrundlage für eine Änderung diesen Bescheides § 44 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen...

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