Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Kammer folgt nicht der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = BSGE 96, 209 = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, wonach Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur unterliegen, wenn sie die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere Rente unter Zugrundelegung eines ungekürzten Zugangsfaktors unter Berufung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 (Az.: B 4 RA 22/05 R).
Die Beklagte bewilligte dem 1948 geborenen Kläger ab dem 01.03.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung, befristet bis zum 31.10.2008 (Bescheid vom 18.12.2006) in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24.01.2007). Außerdem bewilligte sie Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.09.2006 auf Dauer (Bescheid vom 21.12.2006 ), die jedoch wegen Hinzuverdienstes nicht zur Auszahlung kam. In der Anlage 6 der Bewilligungsbescheide heißt es jeweils, dass der Zugangsfaktor von 1,0 für 36 Kalendermonate um 0,108 auf 0,892 vermindert wird.
Hiergegen erhob der Kläger unter Hinweis auf das Urteils des BSG vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R Widerspruch. Die Beklagte teilte dem Kläger mit, dass und aus welchen Gründen sie der Entscheidung des BSG über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht folgen werde, und schlug dem Kläger vor, den Ausgang von verschiedenen Musterverfahren abzuwarten. Damit war der Kläger nicht einverstanden.
Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch am 17.04.2007 mit der Begründung zurück, der Rechtsprechung des BSG vom 16.05.2006 werde über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht gefolgt. Die Reduzierung des Zugangsfaktors nach § 77 SGB VI sei zunächst nur für vorzeitig in Anspruch genommene Altersrente vorgeschrieben gewesen. Zum 01.01.2001 sei § 77 SGB VI ergänzt worden und erfasse hinsichtlich der Reduzierung des Zugangsfaktors nunmehr auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sowie Renten wegen Todes. Nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI sei zunächst die Grundregel aufgestellt, dass für die bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu Grunde zu legenden Entgeltpunkte der Zugangsfaktor zu reduzieren sei, wenn diese vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen würden. Zudem bestimme diese Vorschrift, ab welchem Zeitpunkt die Anzahl der Monate zu bestimmen sei, die für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend seien. Mit dem Datum" Vollendung des 63. Lebensjahres" werde deshalb auch ein Zeitpunkt zur Berechnung des Minderungszeitraums genannt (Beginn des zeitlich rückwärts zu betrachtenden Zeitraums). Die Berechnung setze sich sodann in § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI fort, wonach nicht jeder Monat, in dem die Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werde, zu einer Reduzierung des Zugangsfaktors führen solle. Eine Reduzierung sei ausgeschlossen für die Monate der Inanspruchnahme der Erwerbsminderungrente, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres lägen (Ende des zeitlich rückwärts zu betrachtenden Zeitraums). Damit sei sichergestellt, dass der Zugangsfaktor maximal um 10,8 % (36 Monate x 0,003) reduziert werde. Eine weitere Berechnungsregelung enthalte § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, der im Zusammenhang mit § 77 Abs. 3 SGB VI stehe. Ohne diesen Satz würde der genannte Zugangsfaktor aus einer vor Vollendung des 60. Lebensjahres weggefallenen Erwerbsminderungsrente in eine spätere Rente übernommen. Dies habe der Gesetzgeber ausschließen wollen. § 77 Abs. 2 SGB VI sei nach alledem in eine Grundregel und eine Berechnungsregel unterteilt. Keinesfalls enthalte § 77 Abs.2 SGB VI damit die vom BSG angenommene Grundregel, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte bei der vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogenen Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu reduzieren sei. Auch die Entstehungsgeschichte bestätige die Auffassung der Rentenversicherungsträger. Mit der Einführung des verminderten Zugangsfaktors für Erwerbsminderungsrenten sei die anrechenbare Zurechnungszeit verlängert worden. In der Bundestags-Drucksache 13/8011 werde auf diesen Zusammenhang besonders aufmerksam gemacht. Dort heiße es: "Vorteile aufgrund eines Rentenbeginns vor dem 65. Lebensjahr sollen durch einen verminderten Zugangsfaktor (§ 77 ) ausgeglichen werden. Zur Vermeidung zu starker Wirkungen auf die Renten für frühzeitig erwerbsgeminderte Personen und deren Hinterbliebenen wird für die Zeit zwischen der Vollendung des 55. und 60. Lebensjahres, die bislang nur zu 1/3 angerechnet wurde, zukünftig im vollen Umfang angerechnet." Aus dieser Begründung werde der Zusammenhang zwischen der Einführung des zu vermindernden Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten und der Verlängerung der Zurechnungszeit erkennbar. Besonders deutli...