Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilferecht: Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Kosten der Unterkunft. Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten. Anforderungen an die Datenerhebung in einem schlüssigen Konzept zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze. Einkommensanrechnung. Abzug von Einkommensfreibeträgen bei einem Arbeitsförderungsgeld für eine Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt
Orientierungssatz
1. Auch im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beträgt die Angemessenheitsgrenze in Bezug auf die Größe von Wohnraum bei einem Zwei-Personen-Haushalt 65 qm.
2. Bei der Aufstellung eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze von Kosten der Unterkunft im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung kann bereits bei Ermittlung der abstrakten Angemessenheit durch Bildung von Wohnungsmarkttypen die Nachfrageseite mit berücksichtigt und dazu eine Nachfragegruppe gebildet werden, in die neben Grundsicherungsempfängern auch Haushalte mit geringem Einkommen hinzugenommen werden. In diesem Fall muss aber auch der Anteil der sonstigen Nachfrage in dieser Nachfragegruppe im unteren Marktsegment tatsächlich auf der Grundlage der örtlichen Gegebenheiten ermittelt werden. Eine bloß pauschale Annahme auf der Basis älterer bundesweiter Daten (hier: Mikrozensus 2006) genügt nicht und führt zur Unanwendbarkeit des darauf basierenden Konzepts zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen.
3. Fehlt es an einem schlüssigen Konzept zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze von Unterkunftskosten, sind auch bei den Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zur Beurteilung der konkreten Angemessenheit die für die Wohngeldberechnung relevanten Tabellenwerte zugrunde zu legen, die um einen Sicherheitszuschlag von 10% zu erhöhen sind.
4. Für ein Arbeitsförderungsgeld, das für eine Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte gezahlt wird, werden bei der Einkommensanrechnung im Rahmen der Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung keine Freibeträge berücksichtigt.
Nachgehend
Tenor
Der Bescheid vom 27.08.2015 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 28.10.2015, 21.12.2015, 27.01.2016 und 26.02.2016 sowie des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2015 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin zu 1 im Zeitraum September bis Dezember 2015 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten i.H.v. 418,- EUR pro Monat und im Zeitraum Januar bis August 2016 von Unterkunftskosten i.H.v. 467,50 EUR pro Monat zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägern die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin zu 1) begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten und eines höheren Freibetrages aufgrund der Tätigkeit ihres Ehemannes in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM).
Die im Jahr 1972 geborene Klägerin zu 1) und der im Jahr 1970 geborene Kläger zu 2) sind miteinander verheiratet. Beide sind schwerbehindert, die Klägerin aufgrund eines Anfallsleidens (GdB 50) und der Kläger aufgrund einer Intelligenzminderung (GdB 80). Die Klägerin bezog im streitgegenständlichen Zeitraum einer Rente wegen Erwerbsminderung i.H.v. 254,62 EUR und der Kläger i.H.v. 639,37 EUR. Er arbeitet in einer WfbM und erzielt aufgrund dieser Tätigkeit ein zusätzliches Einkommen i.H.v. 325,- EUR, darin ist ein Arbeitsförderungsgeld i.H.v. 6,40 EUR enthalten.
Die Kläger bezogen zum 01.10.2010 eine Wohnung in der M-str. 0 in N mit einer Wohnfläche von 74 qm. Die Kaltmiete belief sich zunächst auf 304,- EUR, sie wurde zum 01.08.2012 auf 346,60 EUR und zum 01.05.2014 auf 359,93 EUR erhöht. Der Abschlag für die kalten Nebenkosten belief sich zunächst auf 115,00 EUR, er wurde zum 01.11.2015 auf 135,00 EUR angepasst.
Die Klägerin zu 1) bezieht seit September 2011 ergänzende Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII von der Beklagten, zuvor hatte sie bereits Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter erhalten. Der Kläger zu 2) bezieht keine Leistungen, da sein Bedarf durch die Rente und das Einkommen aufgrund der Tätigkeit in der WfbM gedeckt wird.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin zu 1) mit Bescheid vom 27.08.2015 Leistungen der Grundsicherung für den Zeitraum September 2015 bis August 2016 i.H.v. 128,24 EUR pro Monat. Die Miete sei bei der Leistungsberechnung nicht vollständig zu berücksichtigen, sondern nur bis zur Angemessenheitsgrenze von 401,00 EUR. Bei der Berechnung des Freibetrages aufgrund der Tätigkeit des Ehemannes in der WfbM sei zunächst das Arbeitsförderungsgeld herauszurechnen und dann von diesem Einkommen der Freibetrag zu berechnen, der sich auf 117,06...