Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Kammer folgt nicht der Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = SozR 4-2600 § 77 Nr 3, wonach Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur unterliegen, wenn sie die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungsrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere Rente unter Zugrundelegung eines ungekürzten Zugangsfaktors unter Berufung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 (Az.:B 4 RA 22/05 R).
Der 1948 geborene Kläger bezieht seit dem 01. November 2003 aufgrund eines Leistungsfalles am 20.10.2003 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Laut Rentenbescheid vom 06.10.2004 bestand ein Anspruch auf Rente in Höhe von 1.110,87 EUR monatlich brutto. In der Anlage 6 zum Rentenbescheid wird ausgeführt, der Zugangsfaktor betrage 1,0. Er vermindere sich für jeden Kalendermonat nach dem 31.08.2008 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003. Die Verminderung betrage für 35 Kalendermonate 0,105. Somit ergebe sich ein Zugangsfaktor von 0,895 (Anlage 6).
Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. Er trug u.a. vor, die Minderung des Zugangsfaktors sei sachlich unzutreffend. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2005 zurück und berief sich dabei auf § 77 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) in Verbindung mit § 264 c SGB VI. Hiergegen richtet sich die am 01.08.2005 erhobene Klage. Der Kläger beruft sich auf die Entscheidung des BSG vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R. Er meint, die Beklagte müsse sich hieran halten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 06.10.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.2005 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm höhere Rente seit Rentenbeginn unter Zugrundelegung eines ungekürzten Zugangsfaktors von 1,0 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu zahlen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Sie bleibt bei ihrer Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Der Rechtsprechung des BSG vom 16.05.2006 werde über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht gefolgt. Die Reduzierung des Zugangsfaktors nach § 77 SGB VI sei zunächst nur für vorzeitig in Anspruch genommene Altersrente vorgeschrieben gewesen. Zum 01.01.2001 sei § 77 SGB VI ergänzt worden und erfasse hinsichtlich der Reduzierung des Zugangsfaktors nunmehr auch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sowie Renten wegen Todes. Nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI sei zunächst die Grundregel aufgestellt, dass für die bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu Grunde zu legenden Entgeltpunkte der Zugangsfaktor zu reduzieren sei, wenn diese vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen würden. Zudem bestimme diese Vorschrift, ab welchem Zeitpunkt die Anzahl der Monate zu bestimmen sei, die für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend seien. Mit dem Datum" Vollendung des 63. Lebensjahres" werde deshalb auch ein Zeitpunkt zur Berechnung des Minderungszeitraums genannt (Beginn des zeitlich rückwärts zu betrachtenden Zeitraums). Die Berechnung setze sich sodann in § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI fort, wonach nicht jeder Monat, in dem die Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werde, zu einer Reduzierung des Zugangsfaktors führen solle. Eine Reduzierung sei ausgeschlossen für die Monate der Inanspruchnahme der Erwerbsminderungrente, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres lägen (Ende des zeitlich rückwärts zu betrachtenden Zeitraums). Damit sei sichergestellt, dass der Zugangsfaktor maximal um 10,8 % (36 Monate x 0,003) reduziert werde. Eine weitere Berechnungsregelung enthalte § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, der im Zusammenhang mit § 77 Abs. 3 SGB VI stehe. Ohne diesen Satz würde der genannte Zugangsfaktor aus einer vor Vollendung des 60. Lebensjahres weggefallenen Erwerbsminderungsrente in eine spätere Rente übernommen. Dies habe der Gesetzgeber ausschließen wollen. § 77 Abs. 2 SGB VI sei nach alledem in eine Grundregel und eine Berechnungsregel unterteilt. Keinesfalls enthalte § 77 Abs.2 SGB VI damit die vom BSG angenommene Grundregel, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte bei der vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogenen Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu reduzieren sei. Auch die Entstehungsgeschichte bestätige die Auffassung der Rentenversicherungsträger. Mit der Einführung des verminderten Zugangsfaktors für Erwerbsminderungsrenten sei die anrechenbare Zurechnungszeit verlänge...