Entscheidungsstichwort (Thema)
Verminderung des Zugangsfaktors bei der Rentenberechnung
Orientierungssatz
1. Bei der Rentenberechnung wird das durch Beiträge versicherte Arbeitsentgelt in Entgeltpunkte umgerechnet. Die Entgeltpunkte werden durch den Zugangsfaktor in persönliche Entgeltpunkte umgewandelt und damit zur Grundlage der Rente gemacht. Der Zugangsfaktor soll durch einen Zu- oder Abschlag die unterschiedlichen Laufzeiten der Renten ausgleichen, wenn diese vor oder nach der maßgeblichen Regel-Altersgrenze bzw. dem 63. Lebensjahr beginnen.
2. Das BSG hat in seinem Urteil vom 16. 5. 2006 entschieden, dass die Praxis, bei einem Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung, das bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres entstanden ist, auch für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres durch Bestimmung eines niedrigen Zugangsfaktors einen Teil der vom Rentner für die Rentenversicherung erbrachten Vorleistung unbeachtet zu lassen, gesetzes- nd verfassungswidrig sei.(BSG, 16. Mai 2006, B 4 RA 22/05 R)
3. Die Entscheidung des BSG vom 16. 5. 2006 ist in Rechtsprechung und Literatur auf Kritik gestoßen. Das Gericht folgt nicht dem Urteil des BSG, weil es bei der Höhe der Entgeltpunkte für eine einmal bezogene Rente bleiben muss, sofern diese nicht aus tatsächlichen Gründen anders zu berechnen ist. Die unterschiedliche Berechnung einer laufenden Rente vor und nach dem 60. Lebensjahr verstößt gegen § 77 Abs. 2 SGB 6.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere Rente unter Berücksichtigung eines ungekürzten Zugangsfaktors von 1,0 ab November 2001.
Der 1942 geborene Kläger bezog Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 01.11.2001, d.h. mit 59 Jahren. Im Bescheid vom 08.02.2002 heißt es in Anlage 6: "Der Zugangsfaktor beträgt 1,0. Er vermindert sich für jeden Kalendermonat nach dem 31.12.2004 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahr um 0,003. Die Verminderung beträgt für 11 Kalendermonate 0,033." Somit ergäbe sich ein Zugangsfaktor von 0,967. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Nachdem das Bundessozialgericht mit Urteil vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R entschieden hatte, dass die bis dahin und auch im Fall des Klägers vorgenommene Rentenkürzung bei Inanspruchnahme einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vor dem 63. Lebensjahr zwar für die Zeit vom 60. bis zum 63. Lebensjahr, jedoch nicht für Zeiten davor rechtmäßig sei, beantragte der Kläger mit Schreiben vom 02.06.2006 die Überprüfung seines Rentenbescheides. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 29.01.2007 ab. Sie folge dem Urteil des Bundessozialgerichtes über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht und halte die Auslegung des Bundessozialgerichtes für falsch. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2007 mit der Begründung zurück, der Auslegung des BSG könne nicht gefolgt werden. Nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI sei zunächst die Grundregel aufgestellt, dass für die bei einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu Grunde zu legenden Entgeltpunkte der Zugangsfaktor zu reduzieren sei, wenn diese vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen würden. Zudem bestimme diese Vorschrift, ab welchem Zeitpunkt die Anzahl der Monate zu bestimmen sei, die für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend seien. Mit dem Datum" Vollendung des 63. Lebensjahres" werde deshalb auch ein Zeitpunkt zur Berechnung des Minderungszeitraums genannt (Beginn des zeitlich rückwärts zu betrachtenden Zeitraums). Die Berechnung setze sich sodann in § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI fort, wonach nicht jeder Monat, in dem die Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werde, zu einer Reduzierung des Zugangsfaktors führen solle. Eine Reduzierung sei ausgeschlossen für die Monate der Inanspruchnahme der Erwerbsminderungrente, die vor Vollendung des 60. Lebensjahres lägen (Ende des zeitlich rückwärts zu betrachtenden Zeitraums).
Damit sei sichergestellt, dass der Zugangsfaktor maximal um 10,8 % (36 Monate x 0,003) reduziert werde. Eine weitere Berechnungsregelung enthalte § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, der im Zusammenhang mit § 77 Abs. 3 SGB VI stehe. Ohne diesen Satz würde der genannte Zugangsfaktor aus einer vor Vollendung des 60. Lebensjahres weggefallenen Erwerbsminderungsrente in eine spätere Rente übernommen. Dies habe der Gesetzgeber ausschließen wollen. § 77 Abs. 2 SGB VI sei nach alledem in eine Grundregel und eine Berechnungsregel unterteilt. Keinesfalls enthalte § 77 Abs.2 SGB VI damit die vom BSG angenommene Grundregel, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte bei der vor Vollendung des 60. Lebensjahres bezogenen Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu reduzieren sei. Auch die Entstehungsgeschichte bestätige die Auffassung der Rentenversicherungsträger. Mit der Einführung des verminderten Zugangsfaktors für Erwerbsminderungsrenten sei auch die anrechenbare Zurechnungszeit verlängert worden. In ...