Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Folgenabwägung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Europarechtskonformität. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Da eine abschließende materiell-rechtliche Klärung der Frage der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses für ausländische Unionsbürger bei Aufenthalt zur Arbeitsuche gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erfolgen kann, ist im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden.
2. Der Leistungsausschluss gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist vorbehaltlich der Europarechtskonformität auch auf Unionsbürger anzuwenden, für die ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nie bestanden hat oder bei denen es weggefallen ist und für die kein anderes Aufenthaltsrecht feststellbar ist.
Tenor
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Antragstellerin vorläufig im Hinblick auf eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache für den Zeitraum vom 01.03.2014 bis zum 31.08.2014 den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß den §§ 20 Abs.1, 20 Abs.4 SGB II zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
I.Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darum, ob die Antragstellerin aufgrund des Leistungsausschlusses des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuchs (SGB II) dem Grunde nach von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist.Die am 08.11.1975 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Im Jahr 2010 schloss sie in Polen ein Pädagogikstudium mit dem Schwerpunkt "Soziale Prävention und Resozialisation" ab. Bereits in Polen bestand ein enger Kontakt der Antragstellerin zu ihrem jetzigen Lebensgefährten, Herrn XXX. Herr XXX reiste mit seinen drei Söhnen XXX, XXX und XXX im Jahr 2010 nach Deutschland ein. Die Einreise der Antragstellerin in die Bundesrepublik Deutschland erfolgte am 18.05.2011.
Beim Amt für öffentliche Sicherheit, Verkehr und Personenstandswesen der Stadt Hagen gab sie an, sich "zur Arbeitssuche" in Hagen aufzuhalten. Ihren Lebensunterhalt bestreite sie "durch den Freund".Im Zeitraum vom 01.02.2012 bis zum 31.03.2012 war die Antragstellerin als Bürofachkraft in dem zum damaligen Zeitpunkt von Herrn XXX betriebenen Unternehmen "XXX" beschäftigt.Am 12.03.2012 stellte die Stadt Hagen der Antragstellerin eine Bescheinigung gemäß § 5 des Gesetzes über die Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) aus. Eine Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit der Antragstellerin sind nach Aktenstand seither nicht erfolgt.Jedenfalls seit Herbst 2012 lebt die Antragstellerin mit Herrn XXX und dessen Söhnen zusammen.Herr XXX beantragte am 10.08.2012 beim Antragsgegner für sich und seine Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Nach dem Stand der Verwaltungsakte gewährte der Antragsgegner in der Folge Herrn XXX, dessen Söhnen und der Antragstellerin die beantragten Leistungen zur Grundsicherung. Mit Bescheid vom 06.11.2012 hob der Antragsgegner die Leistungsbewilligung für den Zeitraum ab dem 01.10.2012 gegenüber der Antragstellerin auf und berief sich hierbei auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II. In der Folge gewährte er nur noch Herrn XXX und dessen Söhnen Leistungen zur Grundsicherung.Diesbezüglich wurde vor der erkennenden Kammer unter dem Aktenzeichen S 35 AS 3679/13 ER ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren geführt, in dem die Beteiligten vorrangig um die Europarechtskonformität des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II stritten. Mit Beschluss vom 26.09.2013 gab die erkennende Kammer dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig auf, der Antragstellerin für den Zeitraum vom 05.08.2013 (Eingang des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung) bis zum 31.08.2013 (Ende des Bewilligungszeitraums des angefochtenen Bewilligungsbescheids vom 07.02.2013) Regelleistungen gemäß § 20 Abs.1 SGB II in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass die Europarechtskonformität des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II umstritten sei und im Rahmen eines Eilverfahrens nicht geklärt werden könne, so dass in eine Folgenabwägung einzutreten sei.In den an die Bedarfsgemeinschaft gerichteten Bewilligungsbescheiden für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis zum 28.02.2014 (nach dem Stand der Akte Bescheide vom 16.07.2013, 16.08.2013, 21.10.2013 und 25.10.2013) berücksichtigte der Antragsgegner die Antragstellerin erneut nicht.Am 19.10.2013 stellte die Antragstellerin wiederum einen neuen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, der unter dem Aktenzeichen S 35 AS 4806/13 ER geführt wurde.Mit Beschluss vom 24.10.2013 wurde dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig aufgegeben, der Antragstellerin für den Monat Oktober 2013 Regelleistungen in Höhe von insgesamt € 245,- und bis zum Ende des Bewilligungsabsc...