Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. drittstaatsangehörender Ehegatte eines Unionsbürgers. Wegfall des abgeleiteten Aufenthaltsrechts durch Wegzug des Unionsbürgers. Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses für Unionsbürger

 

Orientierungssatz

1. Der Leistungsausschluss gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist nicht auf ausländische Staatsangehörige anwendbar, die über kein materielles Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU 2004 verfügen. Ein vom Unionsbürger abgeleitetes materielles Aufenthaltsrecht eines Drittstaatsangehörigen als Familienangehöriger (Ehegatte) gem §§ 2 Abs 1, Abs 2 Nr 6, 3, 11 FreizügG/EU 2004 liegt nicht mehr vor, wenn der Unionsbürger aus dem Inland weggezogen ist.

2. Der Leistungsausschluss gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 verletzt Europarecht.

 

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 12.12.2013 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 31.03.2014, Leistungen nach dem SGB II - mit Ausnahme von Bedarfen für Unterkunft und Heizung - zu gewähren.

Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Dem Antragsteller wird für diesen Rechtszug für die Zeit ab dem 12.12.2013 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt XXX aus Dortmund beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (nachfolgend: SGB II).

Der am 23.12.1961 geborene Antragsteller ist marokkanischer Staatsangehöriger.

Am 15.10.2013 stellte er bei dem Antragsgegner erstmals einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II.

Er gab ausweislich des bei Antragstellung gefertigten Vermerks am 15.10.2013 nebst “Lebenslauf„ vom gleichen Tag mündlich und in den am 08.11.2013 abgegebenen Antragsformulare schriftlich u. a. an, dass er am 24.07.2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, vom 10.12.2012 bis zum 06.03.2013 in einer Nebenbeschäftigung als Gerüstbauer für die XXX gearbeitet habe und seitdem bzw. nun arbeitslos sei, ohne einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I erworben zu haben. Er sei vollkommen einkommens- und vermögenslos. Seit dem 19.05.2006 sei er mit Frau XXX einer spanischen Staatsangehörigen, verheiratet. Er und seine Ehefrau seien die Eltern einer siebenjährigen Tochter. Seine Ehefrau und die Tochter halten sich nicht mit ihm in Deutschland auf, da seine Schwiegermutter krank sei und gepflegt werden müsse. Sein Lebensunterhalt werde durch geliehenes Geld sichergestellt und sein Wohnbedarf dadurch, dass er derzeit mietfrei bei seiner - selbst Leistungen nach dem SGB II beziehenden - Schwester wohne.

Er legte anlässlich der Antragstellung bzw. der Abgabe der Formulare u. a. folgende Unterlagen vor: Einen marokkanischen Pass, eine Ummeldebestätigung der Stadt Dortmund, seinen von der Deutschen Rentenversicherung Westfalen am 04.09.2012 ausgestellten Sozialversicherungsausweis, eine Verhandlungsniederschrift der Stadt Dortmund - Ordnungsamt - vom 08.07.2013 über eine Vorsprache des Antragstellers und seiner Ehefrau bei der Ausländerbehörde vom gleichen Tag, eine spanische Daueraufenthaltskarte und seine am 23.07.2013 von der Stadt Dortmund ausgestellte und bis zum 22.07.2014 gültige Aufenthaltskarte nach § 5 FreizügG/EU.

Aus der Verhandlungsniederschrift der Stadt Dortmund - Ordnungsamt - vom 08.07.2013 ergibt sich, dass der “Die/der Og.„ erklärt: “Ich bin im August zusammen mit meiner Tochter nach Spanien gereist, da meine Mutter schwer erkrankt ist. Unsere Tochter geht in Spanien zur Schule. Ich bin seit dem 04.07.2013 wieder hier in Deutschland für drei Wochen. Dann geht es wieder nach Spanien da ich meine Mutter pflegen muss. Ich kann nur nach Deutschland kommen wenn einer auf meine Mutter aufpassen kann, ich kann sie leider nicht allein lassen. Ich will irgendwann komplett in Deutschland bleiben aber leider kann ich noch nicht sagen wann.„

Mit Bescheid vom 08.11.2013 wurde der Antrag abgelehnt. Zur Begründung verwies der Antragsgegner auf den Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.

Gegen diesen Verwaltungsakt erhob der Antragsteller am 28.11.2013 durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2013 als unbegründet zurückwies. Zur Begründung verwies er wiederum auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Es liege ein Aufenthalt allein zur Arbeitssuche vor.

Gegen den Bescheid vom 08.11.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.12.2013 richtet sich die am 12.12.2013 erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage des Antragstellers, die bei der Kammer unter dem Az. S 32 AS 5736/13 anhängig ist.

Ebenfalls am 12.12.2013 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtsschutz...

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