Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit durch den Rentenversicherungsträger bei beantragter Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
Orientierungssatz
1. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB 6 ist dann nicht zu gewähren, wenn für den Versicherten noch sozial zumutbare Verweisungstätigkeiten in Frage kommen.
2. Hat ein Versicherter praktisch keine Chance mehr, einen Arbeitsplatz in den zumutbaren Verweisungsberufen zu erhalten, so ist eine die Berufsunfähigkeit ausschließende Verweisungsmöglichkeit nicht mehr gegeben.
3. Bei tarifvertraglich erfassten Vollzeittätigkeiten gilt im Regelfall die Vermutung, dass eine für die Verweisbarkeit hinreichende Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden ist. Gibt es trotz tarifvertraglicher Erfassung nur eine unbedeutende Anzahl von Arbeitsplätzen, so ist das Bestehen einer Verweisungsmöglichkeit konkret zu untersuchen (BSG Urteil vom 15. 11. 1989, 8/5a RKn 13/87).
Tenor
Der Bescheid vom 22. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2001 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ausgehend von einer am 4. Juli 2000 eingetretenen Berufsunfähigkeit Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Rente wegen Berufsunfähigkeit. Der geborene Kläger wurde 1980 im Bergbau angelegt. Er brachte es bis zum Bohrhauer 2 in Lohngruppe 10. Ab 4. Juli 2000 war der Kläger arbeitsunfähig. Zum 30. Dezember 2000 kehrte er mit Aufhebungsvertrag ab. Seitdem ist er arbeitslos. Den Rentenantrag stellte der Kläger am 19. September 2000. Die Beklagte ließ, ihn von ihrem Sozialmedizinischen Dienst untersuchen. Die Internistin kam zu dem Ergebnis, der Kläger könne noch für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig eingesetzt werden. Mit Bescheid vom 22. Februar 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ab. Sie verwies den Kläger zum Ausschluß der Rente auf verschiedene Bergbautätigkeiten sowie die Tätigkeiten als Auslieferungsfahrer im Arzneimittelgroßhandel und als Kassierer an Selbstbedienungstankstellen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2001 zurückgewiesen.
Daraufhin hat der Kläger am 14. November 2001 Klage erhoben. Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, seinen Beruf als Bohrhauer zu verrichten. Zudem sei er sozial zumutbaren Verweisungstätigkeiten, die Berufsunfähigkeitsrente ausschließen könnten, gesundheitlich nicht mehr gewachsen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 22. Februar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ausgehend -von einer am 4. Juli 2000 eingetretenen Berufsunfähigkeit Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist den Kläger zum Ausschluß der Berufsunfähigkeitsrente bis zur Abkehr nunmehr noch auf die Tätigkeiten als Verwieger 1 und 2 sowie Lampenwärter. Darüber hinaus könne der Kläger auch als Kassierer an Selbstbedienungstankstellen und als Auslieferungsfahrer im Arzneimittelgroßhandel arbeiten. Das Gericht hat Befundberichte eingeholt und von Amts wegen den Internisten Dr. und den Chirurgen vom Evangelischen Krankenhaus in mit Gutachten beauftragt. Die Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger könne noch vollschichtig leicht bis gelegentlich mittelschwer arbeiten. Ferner hat das Gericht eine Auskunft des Bergwerks Prosper-Haniel, der letzten Zeche des Klägers, eingeholt. In der Auskunft vom 17. Dezember 2002 wird im Wesentlichen angegeben, seit Juli 2000 habe keiner der wenigen Arbeitsplätze als Lampenwärter, Verwieger 1 und Verwieger 2 neu besetzt werden können. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Streitakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Zu Unrecht hat die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit abgelehnt ... Der geltend gemachte Anspruch des Klägers richtet sich gemäß § 300. Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) noch nach der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (SGB VI a.F.), denn der Anspruch auf Leistungen beginnt vor dem 31. Dezember 2000. Nach § 43 SGB VI a.F. erhält ein Versicherter bei Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn seine Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertige...