Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Gewährung von Grundsicherungsleistungen an freizügigkeitsberechtigte EU-Ausländer. Folgenabwägung im Eilverfahren
Orientierungssatz
1. Der in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr. 2 SGB 2 geregelte Leistungsausschluss für EU-Ausländer verstößt gegen den in Art. 4 EGV 883/2004 bestimmten Gleichbehandlungsgrundsatz, so dass auch EU-Ausländer einen Anspruch auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen ohne die gesetzlichen Einschränkungen geltend machen können.
2. Auch wenn die Frage der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses für EU-Ausländer im Rahmen der Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, kann im Rahmen eines Eilverfahrens über die Leistungsbewilligung an einen EU-Ausländer (hier: Tschechien) nicht lediglich eine Folgenabwägung vorgenommen werden. Vielmehr ist auch im Eilverfahren bei bekannter Rechtslage und geklärtem Sachverhalt eine Sachentscheidung zu treffen.
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für den Zeitraum 06.07.2011 bis 06.01.2012, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch von monatlich 593 € - davon je 46 € für Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Regelleistungen von 328 € für die Antragstellerin zu 1), von je 29 € für die Antragsteller zu 2) und 3) und von 23 € für die Antragstellerin zu 4) - zu gewähren. Für die Monate Juli 2011 und Januar 2012 erfolgt die Gewährung anteilig.
2. Der Antragsgegner hat 7/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 823 € monatlich.
Die Antragstellerin zu 1) ist tschechische Staatsangehörige und Mutter der 2007 geborenen Antragstellerin zu 2), des 2010 geborenen Antragstellers zu 3) und der 2011 geborenen Antragstellerin zu 4, welche allesamt ebenfalls die tschechische Staatsangehörigkeit besitzen.
Der Kindesvater ist georgischer Staatsangehöriger, studiert seit März 2004 in der BRD und ist seit Juli 2007 Ehegatte der Antragstellerin zu 1). Er ist im Besitz einer “Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers„ sowie einer “Arbeitsgenehmigung-EU„ und war in der Zeit vom 18.03.2011 bis zum 08.04.2011, wie schon in Zeiträumen davor, befristet als Statist arbeitstätig. Er ging bis März 2011 zudem regelmäßig einer Aushilfstätigkeit im Lager eines Lebensmittelhändlers nach. Seit dem 08.04.2011 hat er keine entgeltliche Beschäftigung inne. Die letzte Vergütung erhielt er im April 2011.
Die Antragstellerin zu 1) zog anlässlich eines im Wintersemester 2005/2006 begonnenen Auslandsstudienjahres im Rahmen des Erasmus-Programms nach D und lernte dort ihren Ehegatten kennen. Sie meldete sich im Jahre 2007 wieder ab, um ihr Studium an der K.-Universität in Tschechien zu beenden. Am 19.06.2009 meldete sie sich erneut in D an und zog mit ihrem Ehegatten und den Kindern in einen gemeinsamen Haushalt. Einer Erwerbstätigkeit ging und geht die Antragstellerin nicht nach. Am 14.04.2011 stellte ihr die Bundesagentur für Arbeit eine unbefristete “Arbeitsberechtigung-EU„ aus; am 19.04.2011 erhielt sie eine “Bescheinigung gemäß § 5 FreizügG/EU„ .
Am 18.04.2011 stellte die Antragstellerin zu 1) unter Angabe einer aus 4 Personen bestehenden Bedarfsgemeinschaft einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Sie erhält für die Antragsteller zu 2) und 3) monatlich Kindergeld von je 184 € und für die Antragstellerin zu 4) ausweislich des Bescheid der Familienkasse vom 13.07.2011 monatlich Kindergeld von 190 €. Weiteres Einkommen ist nach Wegfall des Landeserziehungsgeldes derzeit nicht vorhanden, nennenswertes Vermögen existiert nicht. Gemeinsam mit dem Ehegatten bzw. Vater der Antragsteller lebt die Familie zur Miete, welche (warm) monatlich 230 € beträgt.
Mit Bescheid vom 20.05.2011 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab, da die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch nicht vorlägen, weil die Antragstellerin zu 1) lediglich ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche in der BRD habe. Hiergegen ließen die nunmehr anwaltlich vertretenen Antragsteller mit Eingang am 17.06.2011 Widerspruch erheben mit der Begründung, dass es nicht zutreffend sei, dass sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergäbe.
Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 22.06.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Es bestehe noch kein Daueraufenthaltsrecht. Das Aufenthaltsrecht der übrigen Familienmitglieder würden diese von jenem der Antragstellerin zu 1) ableiten, so dass sich der Aufenthaltszweck auch nicht zur Wahrung der ehelichen Gemeinschaft und zur Personensorge der gemeinsamen Kinder ergebe.
Am 06.07.2011 erhoben die Antragsteller hiergegen Klage vor dem Sozialgericht, welche unter dem Geschäftsz...