Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Übernahme von Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit dem getrennt lebenden Kind. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Anspruchsgrundlage für die Übernahme von Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts mit minderjährigen, getrennt lebenden Kindern für Leistungsbezieher nach dem SGB 2 ist nicht § 73 SGB 12, sondern § 23 Abs 1 S 1 SGB 2. Die Vorschrift des § 73 SGB 12 ist keine generelle Auffangnorm für sämtliche Hilfearten. Sie bezieht sich nur auf Hilfesituationen, die in ihrer Typizität nicht zur Hilfe zum Lebensunterhalt gehören.
2. Ein Bedarf im Zusammenhang mit der Ausübung des Umgangsrechts unterfällt thematisch und strukturell am nahesten den "Beziehungen zur Umwelt" und damit den persönlichen sozialen Außenkontakten der Hilfebedürftigen. Er ist daher dem Grunde nach von den Regelleistungen nach § 20 Abs 1 S 1 SGB 2 umfasst.
3. Soweit die Regelleistungen für die zur Wahrnehmung des Umgangsrechts erforderlichen Kosten nicht ausreichen, muss eine zusätzliche Geldleistung nach § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 erbracht werden, da insoweit eine Kostendeckelung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig ist.
4. Die Gewährung von Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts durch die Träger der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende beschränken sich nicht nur auf die notwendigen, sondern auch auf die nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls angemessenen Kosten. Dieses Erfordernis bezieht sich dabei sowohl auf die Höhe der Kosten, als auch auf das Maß des Umgangs. Es ist zu berücksichtigen, dass die Leistungen nach SGB 2 lediglich Hilfe zur Selbsthilfe vermitteln und es dem Hilfebedürftigen obliegt, alle Möglichkeiten zur Verringerung der Hilfebedürftigkeit auszuschöpfen (hier Kostensenkung durch Spartarife der Bahn, Mitfahrgelegenheiten).
5. Dem Hilfebedürftigen kann nicht entgegengehalten werden, dass die Umgangskosten durch einen Umzug in die Nähe des Kindes vermieden bzw verringert werden können, da dies sein Recht auf Freizügigkeit nach Art 11 GG tangiert.
6. Zur Pflicht zur Erbringung von Eigenleistungen nach § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 iVm § 12 Abs 2 Nr 4 SGB 2 aus dem Ansparfreibetrag.
7. Der erwerbsfähige Hilfebedürftige kann nicht darauf verwiesen werden, die Kosten der Ausübung seines Umgangsrechts durch Einsatz seines Erwerbstätigenfreibetrages nach §§ 11 Abs 2 Nr 6, 30 SGB 2 zu decken.
8. Wenn eine dauerhafte Bedarfsunterdeckung absehbar ist, ist der zusätzliche, unabweisbare, anderweitig nicht gedeckte Sonderbedarf zur Ausübung des Umgangsrechts im Wege verfassungskonformer Auslegung der Rechtsfolge des § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 nicht lediglich als Darlehen, sondern als Zuschuss in analoger Anwendung der Rechtsfolge des § 28 Abs 1 S 2 Alt 2 SGB 12 zu gewähren.
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller auf seinen Antrag vom 2. September 2005 vorläufig, ab November 2005 (zunächst befristet bis einschließlich April 2006) monatliche, im Voraus zu erbringende Geldleistungen durch Übernahme der notwendigen Fahrt- und Unterkunftskosten des Antragstellers zur Ausübung seines Umgangsrechts mit seinem Sohn N. in Höhe von monatlich 44,00 € Zuschussweise (und nicht nur Darlehensweise) zu gewähren. Die Höhe des monatlichen Betrages steht unter dem Rückforderungsvorbehalt, dass dem Antragsteller tatsächliche, notwendige und angemessene Fahrt- und Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 169,00 € entstehen.
II. Dem Antragsteller wird auferlegt, der Antragsgegnerin monatlich nachträglich die tatsächlichen, notwendigen und angemessenen Fahrt- und Unterkunftskosten nachzuweisen.
III. Die Antragsgegnerin erstattet dem Antragsteller dessen notwendige außergerichtliche Kosten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Übernahme von Kosten, die dem Antragsteller durch die Ausübung seines Umgangsrechts mit dem von ihm getrennt, in der Nähe von K. lebenden leiblichen Sohn N. entstehen.
Der 1966 geborene, seit 2002 von seiner früheren Ehefrau geschiedene Antragsteller ist Vater des 1999 geborenen Kindes N., für welches er sich gemeinsam mit seiner früheren Ehefrau das Sorgerecht teilt. Sein Sohn N. hält sich bei seiner leiblichen Mutter, der früheren Ehefrau des Antragstellers, in W. (in der Nähe von K. liegend) auf. Aufgrund Umgangsvereinbarung des Antragstellers mit seiner früheren Ehefrau vom 2. November 2004 wurde der Kontakt des Antragstellers einvernehmlich mit seiner früheren Ehefrau zum gemeinsamen Kind geregelt. Entsprechend dieser Umgangsvereinbarung hat der Antragsteller ein regelmäßiges Umgangsrecht mit seinem Sohn N. aller 14 Tage am Samstag und Sonntag (beginnend am Samstag, dem 13. November 2004), konkret: Samstag ab 14.00 Uhr bis 19.00 Uhr und Sonntag ab 14.00 Uhr bis 19.00 Uhr, zu dem der Antragsteller das Kind jeweils abholt und auch wieder zurückbringt. Der Antragsteller war bis Ende April 2005 in der Nähe seines leiblichen Sohnes N. berufstätig un...