Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Erhebung des kassenindividuellen Zusatzbeitrags. Unterdeckung des Finanzbedarfs einer Krankenkasse. Rechtsmäßigkeit. Beitragstragung durch Versicherten allein. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Gesetzlich Versicherte können der Erhebung eines kassenindividuellen Zusatzbeitrags nach § 242 Abs. 1 S 1 SGB 5 nicht entgegen halten, die Unterdeckung des Finanzbedarfs wäre bei ordnungsgemäßer Haushalts- und Wirtschaftsführung vermeidbar.
2. Die Erhebung des kassenindividuellen Zusatzbeitrags direkt beim Versicherten verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Einen Grundsatz, dass Beiträge stets durch Beitragseinbehalt bei der Zahlstelle zu erheben sind, gibt es nicht. Das Grundgesetz kennt auch keinen Grundsatz, wonach die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung Beschäftigter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch zu finanzieren wären. Die Forderung nach einer jeweils hälftiger Verteilung der Beitragslast auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist rechtspolitischer Natur und mangels verfassungsrechtlicher Grundlage gegenüber anderslautenden Anordnungen des Gesetzgebers nicht einklagbar.
Tenor
I. Der Antrag vom 28.06.2010 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 08.03.2010 gegen den Bescheid vom 03.03.2010 über die Erhebung eines kassenindividuellen Zusatzbeitrags wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit des von der Antragsgegnerin (Ag.) ab dem Beitragsmonat März 2010 erhobenen kassenindividuellen Zusatzbeitrags.
Mit Bescheid vom 03.03.2010 forderte die Ag. die bei ihr gesetzlich krankenversicherte Antragstellerin (Ast.) auf, ab dem 01.03.2010 einen kassenindividuellen Zusatzbeitrag von 8,00 EUR monatlich zu entrichten. Die Ast. wurde darauf hingewiesen, dass die erste Zahlung zum 15.04.2010 fällig werde. Durch eine Fußnote wird auf umseitige Hinweise zum Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V verwiesen.
Mit am 11.03.2010 bei der Ag. eingegangenem Schreiben vom 08.03.2010 erhob die Ast. Widerspruch gegen die Erhebung des Zusatzbeitrags. Der Zusatzbeitrag sei wettbewerbswidrig, da er auf staatlich nicht nur geduldeten, sondern auch geförderten und geforderten illegalen Preisabsprachen beruhe. Anstelle den Zusatzbeitrag zu erheben, wäre richtigerweise der Beitragssatz zu erhöhen. Im Jahresbericht der Ag. seien zwar die Betriebsergebnisse offen gelegt, jedoch keine wesentlichen Einsparungen im Verwaltungsbereich erkennbar. Bei dauerhafter Unwirtschaftlichkeit bleibe die Insolvenz. Da in letzter Zeit von Überschüssen der Krankenkassen die Rede gewesen sei, seien Rücklagen zu bilden gewesen, um Schwankungen der Beitragseinnahmen auszugleichen. Reiche die Liquiditätsreserve nicht aus, habe das nicht der Versicherte auszubaden, sondern der Bund hierfür einzustehen. Die geforderte Überweisung des Zusatzbeitrags mit der Möglichkeit des Nachlasses bei Halbjahres- oder Jahreszahlungen verstoße gegen den Grundsatz des Beitragseinbehalts beim Arbeitgeber oder beim Sozialleistungsträger.
Mit weiterem Schreiben vom 21.04.2010 rügte sie ergänzend, die rückwirkende Erhebung des Zusatzbeitrags zum 01.03.2010. Auf die Zahlungsfrist komme es nicht an. Zugleich erklärte sie sich auf ein Schreiben der Ag. vom 09.04.2010 damit einverstanden, den Widerspruch zunächst bis zur rechtskräftigen Entscheidung in Musterstreitverfahren ruhen zu lassen, lehnte aber eine vorläufige Entrichtung des Zusatzbeitrags mit gleichem Schreiben wie auch mit weiterem Schreiben vom 18.05.2010 ab. Der Widerspruch richte sich auch gegen die Zahlungen bis zur Entscheidung in der Sache.
Die Ag. wies daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2010 den Widerspruch der Ast. "gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Aussetzung der Zahlung des Zusatzbeitrags" zurück. Der Widerspruch gegen die Erhebung des Zusatzbeitrags habe keine aufschiebende Wirkung. Einer Aussetzung der Vollziehung könne nicht zugestimmt werden. Weder bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zusatzbeitrags noch habe dessen Erhebung eine unbillige Härte zur Folge.
Hiergegen richtet sich der am 29.06.2010 beim Sozialgericht Dresden eingegangene und zunächst in die Form einer Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 25.06.2010 gekleidete Antrag vom 28.06.2010 (Az. S 18 KR 297/10). Die Ast. wendet sich weiterhin dagegen, bis zur Entscheidung über den ruhenden Widerspruch den kassenindividuellen Zusatzbeitrag vorläufig entrichten zu müssen. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. Die Erhebung des Beitrags beim Versicherten verstoße gegen den gesetzlich vorgesehenen Beitragseinbehalt. Die Ag. habe nicht öffentlich nachgewiesen, dass sie gesetzlich zu bildende Rücklagen aufgebraucht habe. Eine dauerhafte verdeckte Beitragssatzerhöhung benachteilige unangemessen die Arbeitnehmerseite und wäre deshalb verfassungswidrig. Hierin liege zugleich eine Wettbewerbsverzerrung durch illegale Pre...