Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Versicherter im Strafvollzug. Betäubungsmittelabhängigkeit. Rehabilitationsmaßnahme im Zeitraum der Zurückstellung der Strafvollstreckung. kein Ruhen nach § 16 Abs 1 Nr 4 SGB 5

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Anspruch des Antragstellers gegen seine Krankenversicherung auf Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme im Zeitraum der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtmG (juris: BtMG 1981) steht kein Ruhenstatbestand gemäß § 16 Abs 1 Nr 4 SGB V entgegen.

 

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zur bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über den Bescheid vom 12.07.2022 eine Zusage zur Übernahme der Kosten einer stationären Rehabilitationsmaßnahme zur Behandlung einer Drogenabhängigkeit mit Regeltherapiedauer 24/26 Wochen in der S-Klinik B.... - Fachklinik für Suchterkrankungen.... - zu erteilen, die für den Fall der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichtes B.... vom …, AZ … durchgeführt wird.

2. Die Antragsgegnerin erstattet die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

 

Gründe

I.

Der am … geborene Antragsteller befindet sich ausweislich des vorliegenden Vollstreckungsblattes (Bl. 15 der Gerichtsakte, GA) seit 01.07.2021 in der JVA A.... im Strafvollzug und ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert.

Zuletzt wurde er durch Urteil des Amtsgerichtes B.... vom , AZ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt (Bl. 16 ff. GA). Zu den persönlichen Gründen ist in dem Urteil vermerkt, dass der Antragsteller seit seinem 18. Lebensjahr regelmäßig Drogen konsumiert, zunächst Cannabis, später auch Crystal und GBL. Die zur Aburteilung anstehenden Taten stünden in Zusammenhang mit der festgestellten Betäubungsmittelabhängigkeit (Bl. 17 GA).

Das Urteil wird in Bezug auf die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten seit 21.12.2021 vollstreckt. Außer der Strafvollstreckung aus dem benannten Urteil steht noch eine weitere Strafvollstreckung an aus einem Urteil des Amtsgerichtes C vom … mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten an, von denen allerdings nur noch eine Rest-Gesamt-Freiheitsstrafe von 398 Tagen zu verbüßen ist (Bl. 15 GA).

Am 24.05.2022 beantragte der Antragsteller bei der Deutschen Rentenversicherung stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im Hinblick auf seine Drogenabhängigkeit (Bl. 5 der Verwaltungsakte, VA). Dem Antrag lagen u.a. der ärztliche Befundbericht des behandelnden Arztes Dipl-med Z., der die Belastbarkeit des Antragstellers für die Rehabilitationsmaßnahme bejaht, der Sozialbericht und der handschriftliche Lebenslauf/Suchtverlauf des Antragstellers bei (Bl. 5ff. VA). Vorgelegt wurde auch die Bescheinigung der Justizvollzugsanstalt zur hier vorliegenden Möglichkeit der Zurückstellung nach § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) (Bl. 40 VA).

Die Deutsche Rentenversicherung verneinte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und leitete den Antrag nach § 14 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) an die Antragsgegnerin weiter.

Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag durch Bescheid vom 12.07.2022 mit folgender Begründung ab:

"Sie befinden sich derzeit im Vollzug einer Haftstrafe und haben Anspruch auf Heilbehandlung gemäß § 48 SGB XII, analog § 57 StVollzG. Entsprechend des Urteils des Bundessozialgerichts vom 05.08.2021 bleiben Sie auch bei einer möglichen Zurückstellung nach § 35 BtMG weiterhin im Vollzug einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung.

Während dieser Zeit ruhen die Leistungsansprüche gegen eine gesetzliche Krankenkasse. Somit kann die AOK PLUS keine Leistungen zur Entwöhnungsbehandlung für Sie übernehmen."

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 25.07.2022 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde.

Mit Eingang am 04.08.2022 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der vorläufigen Zusage zur Übernahme der Kosten der beantragten Rehabilitationsmaßnahme für den Fall der Zurückstellung der Strafvollstreckung.

Der Antragsteller führt aus,

es träfe nicht zu, dass die Leistungsansprüche gegen die gesetzliche Krankenkasse während der Rehabilitationsmaßnahme ruhten.

Denn er befinde sich bei einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG gerade nicht im Vollzug einer Freiheitsstrafe und auch nicht in einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung. Er habe auch keinen anderweitigen Anspruch auf Gesundheitsfürsorge in diesem Zeitraum.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin stützt sich weiterhin auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 05.08.2021, B 4 AS 58/20, und erwidert, die Kostenübernahmeverpflichtung des Freistaates Sachsen, den sie in der Pflicht sähe, ergebe sich zwar nicht aus § 57 Strafvollzugsgesetz (StVollzG), aber aus § 58 ...

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