Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. sächsisches Landesblindengeld. Anrechnung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Rückforderung überzahlten Blindengelds. rückwirkende Neufeststellung. Pflicht zur Rückzahlung. Hinweispflicht der Behörde. Verschulden des blinden Menschen. Mitteilungspflicht. fehlende Information in Blindenschrift. Bestimmtheitsgrundsatz. falsches Datum im Verfügungssatz. Auslegung. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren
Orientierungssatz
1. Nach der 2002 in Kraft getretenen Fassung des Landesblindengeldgesetzes für den Freistaat Sachsen (juris: BliGG SN) kommt es bei der Rückforderung von Überzahlungen, die aus dem Empfang von anrechenbaren Pflegeversicherungsleistungen resultieren, tatbestandlich nicht auf die Verletzung von Mitteilungspflichten an.
2. Die Aufhebung von Bewilligungsbescheiden für die Vergangenheit richtet sich in diesen Fällen nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10.
3. Ein der Aufhebung für die Vergangenheit entgegenstehender atypischer Fall liegt nicht schon dann vor, wenn der blinde Leistungsempfänger nicht in Blindenschrift oder einer anderen für ihn ohne Hilfe Dritter wahrnehmbaren Form über die Anrechnung der Pflegeversicherungsleistungen und damit verbundenen Rückzahlungspflichten informiert wurde.
4. Es verstößt nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus § 33 Abs 1 SGB 10, wenn in dem Verfügungssatz des Verwaltungsakts als Ausgangsbescheid für einen Bescheid zur Neufestsetzung von Blindengeld in fehlerhafter Weise ein Bescheid mit dem Datum eines schwerbehindertenrechtlichen Anerkennungsbescheids genannt wird, solange sich durch Auslegung - insbesondere unter Heranziehung der Begründung (hier aus der dargelegten Blindengeldhöhe und dem Widerspruchsbescheid) - der zutreffende Bewilligungsbescheid ermitteln lässt.
5. Die Soll-Vorschrift des § 50 Abs 3 S 2 SGB 10, nach der die Festsetzung der zu erstattenden Leistung mit der Aufhebung des zugrunde liegenden Verwaltungsakts verbunden werden soll, ist eine reine Ordnungsvorschrift.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin die zu deren zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Rückforderung von Landesblindengeld.
Der 1930 geborenen Klägerin wurde u. a. wegen ihrer Blindheit durch Bescheid des Amtes für Familie und Soziales Dresden als Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 11.03.1992 (aufgestempeltes Datum: 16.03.1992) ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen des Merkzeichens “Bl„ zuerkannt.
Durch Bescheid dieser Behörde vom 19.11.1992 wurde ferner der Klägerin auf Ihren Antrag vom 21.03.1992 ein monatliches Blindengeld von DM 600 mit Wirkung ab 01.01.1992 gewährt. Der Bescheid enthielt unter der Überschrift “Mitteilungspflicht„ u. a. diese Passage:
“Sie sind verpflichtet, jede Änderung der persönlichen Verhältnisse, insbesondere […]
- die Gewährung von Pflegegeld aus einer Unfallversicherung oder von einem Leistungsträger wegen der Blindheit […]
unverzüglich dem Amt für Familie und Soziales anzuzeigen. Überzahlungen, die dadurch entstehen, daß uns eine Änderung nicht oder verspätet mitgeteilt wird, sind zu erstatten.„
Bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten ging am 06.12.1994 ein von der Klägerin am 04.12.1994 unterschriebenes Formblatt ein, in dem angekreuzt war, dass kein Pflegegeld oder ähnliche Leistungen bezogen wurden.
Mit Bescheid vom 27.12.1995 stellte die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Höhe des monatlichen Blindengeldes auf DM 650 neu fest (ab 01.01.2002: EUR 333). Im Abschnitt “Mitteilungspflicht„ informierte die Behörde über Folgendes:
“Sie sind verpflichtet, jede Änderung der persönlichen Verhältnisse, insbesondere […]
- die Gewährung oder Veränderung des Zahlbetrages eines Pflegegeldes von der Pflegekasse/Krankenkasse und/oder dem Unfallversicherungsträger und/oder einem sonstigen Leistungsträger […]
unverzüglich dem o. g. Amt für Familie und Soziales unter Angabe Ihres obigen Aktenzeichens anzuzeigen. Überzahlungen, die dadurch entstehen, daß eine Änderung nicht oder verspätet mitgeteilt wird, müssen zurückgezahlt werden.„
Am 25.05.1998 ging nochmals bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten ein von der Klägerin unterzeichnetes Formblatt ein, auf dem mit Datum vom 19.05.1998 u. a. angekreuzt war, dass sie kein Pflegegeld erhielt. Der Behörde wurde auf ihre Anfrage auch mit Schreiben der Krankenkasse der Klägerin (AOK Sachsen) vom 16.06.1998 mitgeteilt, dass kein Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung gestellt wurde. Mit Schreiben vom 09.07.1998 (Postausgang) wies die Rechtsvorgängerin der Beklagten nochmals auf die Mitteilungspflichten aus dem Bescheid vom 27.12.1995 hin.
Am 16.10.2002 ging erneut ein von der Klägerin am 08.10.2002 unterzeichnetes Formblatt bei der Behörde ein, in dem angekreuzt war, dass keine Leistungen der Pflegeversicherung bezogen wurden.
Auf ihren Antrag erhielt die Klägerin nach einem Obers...