Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Honorarrückforderung nach Plausibilitätsprüfung. Überschreitung der Quartalszeitfonds. Ansatz von Grund- und Mitbetreuungspauschalen ohne gesicherte Korrelation zum tatsächlichen Zeitaufwand. verfassungsrechtlicher Maßstab für die Eignung von Prüfzeiten. Erforderlichkeit transparent gewonnener und belastbarer empirischer Erkenntnisse
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung kann der Nachweis der Unrichtigkeit der vertragsärztlichen Abrechnung nicht allein an Hand der Quartalszeitprofile geführt werden, wenn zur Überschreitung der Quartalszeitfonds maßgeblich Ansätze für Grund- und Mitbetreuungspauschalen beigetragen haben, deren Prüfzeiten keine gesicherte Korrelation zum tatsächlichen Zeitaufwand für den obligaten Leistungsinhalt aufweisen.
2. Bei der Überprüfung der Eignung von Prüfzeiten als alleiniges Beweismittel zur Feststellung von Abrechnungsunrichtigkeiten ist von Verfassungs wegen ein strenger Maßstab anzulegen. Die Legitimation und Verlässlichkeit der Prüfzeiten muss sich nachprüfbar aus allgemein zugänglichen belastbaren empirischen Erkenntnissen oder Expertenwissen ergeben, die in einem transparenten Verfahren gewonnen worden sind.
Orientierungssatz
Az beim LSG Chemnitz: L 1 KA 15/22.
Tenor
I. Der Bescheid vom 11.03.2019 in der Fassung des Bescheides vom 14.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.03.2020 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
III. Der Streitwert wird auf 104.198,31 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rückforderung vertragsärztlichen Honorars in Höhe von 104.198,31 EUR für die Quartale 1/2015 bis 1/2016 aufgrund sachlich-rechnerischer Richtigstellung im Ergebnis einer Plausibilitätsprüfung.
Die Klägerin nimmt als Fachärztin für Neurologie sowie als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Praxissitz in L. Stadtteil N. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Wegen auffälliger Quartalszeitprofile veranlasste die beklagte Kassenärztliche Vereinigung eine Prüfung der in den Quartalen 1/2015 bis 1/2016 erbrachten Leistungen. Auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 02.03.2018 stimmte die Klägerin mit Schreiben vom 28.03.2018 der Verwertung ihrer Stellungnahme und ihres Widerspruchs im Plausibilitätsprüfungsverfahren für die Quartale 3/2012 bis 3/2014 zu, wo sie insbesondere auf ihre erheblich über dem Fachgruppendurchschnitt liegenden Patientenzahl verwiesen hatte.
Mit Bescheid vom 11.03.2019, auf den Widerspruch der Klägerin korrigiert in der Fassung des Bescheides vom 14.06.2019, setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Honorarrückforderung in Höhe von insgesamt 104.198,31 EUR fest, und zwar 31.016,83 EUR für das Quartal 1/2015, 33.467,98 EUR für das Quartal 2/2015, 16.735,31 EUR für das Quartal 3/2015, 11.518,72 EUR für das Quartal 4/2015, 11.459,47 EUR für das Quartal 1/2016.
Die Überschreitung der Zeitfonds lasse die Richtigkeit der Abrechnung anzweifeln. Neben den Grundpauschalen, die bereits eine Gesprächs- und Behandlungsdauer von "mindestens 10 Minuten Dauer" berücksichtige, habe die Klägerin häufig zusätzlich psychiatrische Gespräche nach GOP 21220 abgerechnet, die nochmals einen Arzt-Patienten-Kontakt von wenigstens 20 Minuten Dauer voraussetzen. Bei der Auswertung der Tages- und Quartalszeitprofile zeige sich, dass die Klägerin ab der Anhörung im Plausibilitätsprüfungsverfahren für die Quartale 3/2012 bis 3/2014 ihr Abrechnungsverhalten ab dem Quartal 3/2015 geändert und die GOP 21220 nur noch rückläufig angesetzt habe, so dass sich auch die Tageszeitprofile von meist knapp unter 12 Stunden auf selten über 10 Stunden verringert hätten. Gleichwohl müsse die Klägerin Leistungen abgerechnet haben, die sie auf Grund des fehlenden Zeitvolumens nicht so habe erbringen können wie es der EBM vorsehen. Mit Rücksicht auf die gegenüber der Fachgruppe ca. 30 bis 42 % höhere Fallzahl habe der Ausschuss der Klägerin bereits einen Zuschlag auf den Quartalszeitfonds von 30 % (Anhebung auf 1.014 Stunden) gewährt. Entsprechend dem darüber hinaus gehenden Anteil des Quartalszeitprofils kürzte die Beklagte unter Anwendung der Mischpunktwertmethode das vertragsärztliche Honorar.
Mit ihrem Widerspruch vom 19.03.2019 machte die Klägerin geltend, die hohen Quartalszeitprofile resultierten aus der hohen Patientenzahl. Die Begründung des Bescheides sei nicht nachvollziehbar und belege weder die Unmöglichkeit der Leistungserbringung in der gegebenen Zeit noch die Falschabrechnung. Die obligaten Leitungsinhalte habe sie erbracht. Allein die Zeitüberschreitung erbringe nicht den Beweis für eine unrichtige Abrechnung. Nur die GOP 16233/21233 und 21220 wiesen Mindestzeiten auf. Diese würden jedoch nur einen Teil der Gesamtzeit binden, so das die Erbringung des obligaten Leistungsinhaltes näher hätte geprüft werden müssen. Dies habe die Beklagte unterlassen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2020 zurück. Bereit...