Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Arbeitslosengeldes. Bemessungszeitraum, -rahmen und -entgelt nach Arbeitszeitreduzierung durch Teilzeitvereinbarung. teleologische Reduktion. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Kann im nach § 130 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB 3 idF vom 23.12.2003 auf 2 Jahre erweiterten Bemessensrahmen ein Bemessungszeitraum mit 150 Tagen Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht ermittelt werden, weil Zeiten der Teilzeitbeschäftigung nach § 130 Abs 2 S 1 Nr 4 SGB 3 idF vom 23.12.2003 bei der Ermittlung des Bemessungszeitraumes außer Betracht bleiben, so ist nach dem Wortlaut der ab 1.1.2005 geltenden Vorschriften eine fiktive Bemessung des Arbeitslosengeldes gem § 132 Abs 1 SGB 3 durchzuführen. Dies kann - wie im vorliegenden Fall - zu einem geringeren Bemessungsentgelt als unter Berücksichtigung des Arbeitsentgelts aus der Teilzeitbeschäftigung führen.
2. Unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht ist die Vorschrift des § 132 Abs 2 S 1 Nr 4 SGB 3 idF vom 23.12.2003 daher unter teleologischer Reduktion dahingehend auszulegen, dass sie in Fällen nicht anzuwenden ist, in denen ihre Anwendung nicht zu der beabsichtigten Besserstellung der in der Norm genannten Personen führt und es bei der Regelbemessung bleibt, sofern eine solche möglich ist.
Nachgehend
Tenor
1. |
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Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 03.04.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2006 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe für die gesetzliche Dauer aufgrund eines Bemessungsentgelts von täglich 82,09 €, das sich aus den im Zeitraum vom 01.04.2005 bis 31.03.2006 tatsächlich erzielten Arbeitsentgelten ergibt, zu zahlen. |
2. |
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Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. |
3. |
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Die Beklagte trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. |
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Bemessungsentgelts, das der Berechnung des Arbeitslosengeldes ab 1.4.2006 zugrunde zulegen ist, streitig.
Der ...1951 geborene Kläger war vom 1.9.1966 bis 31.3.2006 bei der V E M AG S - S P als Vorarbeiter - Gerätefahrer im Tagebau an der Förderbrücke tätig. Der Kläger besuchte und schloss die allgemeine polytechnische Hochschule ab. Danach machte er eine Ausbildung zum Gerätefahrer, die er mit der Facharbeiterqualifikation abschloss. Außerdem machte er in diesem Bereich noch seinen Meister. Ihm stand im Jahr 2006 kein Kinderfreibetrag zu und in seiner Lohnsteuerkarte war in 2006 die Lohnsteuerklasse IV eingetragen.
Seine wöchentliche Arbeitszeit betrug bis zum 31.3.2004 wöchentlich 40 Stunden. In der Zeit vom 1.4.2003 bis 31.3.2004 betrug sein durchschnittliches jährliches Bruttogehalt 37.016,32 €. Darin enthalten waren Einmalzahlungen von Urlaubsgeld (980,00 € im Mai 2003), eine tarifliche Einmalzahlung (130 € im Juni 2003), eine Deputatentschädigung (475 € im Juli 2003), Weihnachtsgeld (2.470,11 € im Oktober 2003).
Das Arbeitsentgelt im Zeitraum 01.04.2003 bis 31.03.2004 betrug im Einzelnen:
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April 2003 |
2.641,67 € |
Mai 2003 |
3.751,83 € |
Juni 2003 |
2.880,73 € |
Juli 2003 |
3.213,51 € |
August 2003 |
2.761,38 € |
September 2003 |
2.687,17 € |
Oktober 2003 |
5.229,45 € |
November 2003 |
2.757,10 € |
Dezember 2003 |
2.872,09 € |
Januar 2004 |
2.705,31 € |
Februar 2004 |
2.761,14 € |
März 2004 |
2.754,94 €. |
Mit Schreiben vom 27.11.2003 kündigte der Arbeitgeber dem Kläger betriebsbedingt zum 31.3.2006, da im Rahmen einer betriebswirtschaftlich notwendigen Neugestaltung von Verwaltungsvorgängen und der damit einhergehenden Rationalisierung komplexer Abläufe Strukturen und Arbeitsplätze neu bewertet und gestaltet wurden. Durch die in diesem Zusammenhang notwendige Personalanpassung im Tätigkeitsbereich des Klägers wurde das Arbeitsverhältnis mit ihm gelöst. Der Betriebsrat war vor Ausspruch der Kündigung angehört worden und hatte nicht widersprochen.
Mit Änderungsvertrag vom 03.05.2004 vereinbarte der Kläger mit der V E M AG die Reduzierung seiner Arbeitszeit auf 79 % der tariflichen Arbeitszeit. Die Vereinbarung basierte auf der Betriebsvereinbarung zur Durchführung betrieblicher Kurzarbeit vom 21.11.2003. Hinsichtlich des Inhalts der Betriebsvereinbarung wird auf die Blätter 130 ff. der Gerichtsakten Bezug genommen. Darin war festgeschrieben, dass die Mitarbeiter zum Ausgleich des finanziellen Verlustes durch die betriebliche Kurzarbeit eine zusätzliche Abfindung erhalten, die ein durchschnittliches Einkommen von 90 % eines Nettojahresgehalts gewährleistete. Die übrigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses blieben unberührt. Der Kläger wurde zwar von der Arbeit frei gestellt, musste sich jedoch zum jederzeitigen neuen Einsatz durch den Arbeitgeber zur Verfügung halten.
Im gesamten Zeitraum 1.4.2004 bis 31.3.2006 betrug die wöchentliche Arbeitszeit des Klägers aufgrund der Teilzeitvereinbarung nur noch 31,6 Stunden. Im Zeitraum vom 1.4.2005 bis 31.3.2006 erzielte der Kläger ein durchschnittliches Bruttoarbeitsentgelts von jährlich 29.963,88 €. Darin enthalten waren folgende Einmalz...