Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Widerspruchsverfahren gegen einen Altersrentenbescheid. Verfahrens- oder Formfehler. Kostenfolge
Leitsatz (amtlich)
1. Zur erforderlichen Begründung eines Rentenbescheides zählt auch die Mitteilung über die Berechnung der Entgeltpunkte als Kernbestandteil für die Berechnung der Rentenhöhe.
2. Ist ein Verfahrens- oder Formfehler nach § 41 SGB X geheilt worden, ist der Bescheid mangelfrei und kann nicht mehr an einem Fehler iS von § 42 SGB X leiden. Die Unbeachtlichkeit eines Verfahrens- oder Formfehlers nach § 42 SGB X vermag deshalb die Kostenfolge des § 63 Abs 1 S 2 SGB X nicht auszuschließen.
Orientierungssatz
Ein schriftlicher Bescheid muss für einen seriösen, um Verständnis bemühten Leser ohne spezielle Kenntnis der besonderen Rechtsmaterie (z B des Sozialversicherungsrechts) aus sich selbst heraus verständlich und nachvollziehbar sein (vgl LSG Hamburg vom 22.1.2009 - L 3 R 17/08). Formell fehlerhaft ist die Begründung dann, wenn die Behörde die für sie subjektiv entscheidungserheblichen Umstände und Erwägungen nicht mitteilt.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.04.2019 verurteilt, die der Klägerin in dem Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 14.08.2018 entstandenen notwendigen Aufwendungen dem Grunde nach zu erstatten.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenerstattung hinsichtlich des Widerspruchsverfahrens gegen einen Altersrentenbescheid streitig.
Die 1955 geborene Klägerin beantragte am 29.06.2018 Altersrente für besonders langjährige Versicherte. Die Beklagte bewilligte die Leistung und übersandte an die Klägerin einen Rentenbescheid mit Datum vom 14.08.2018 über die Bewilligung von Altersrente für besonders langjährige Versicherte ab 01.09.2018. Der Rentenbescheid enthielt die Anlage "Berechnung der Rente", wonach sich der Zahlbetrag aus persönlichen Entgeltpunkten (Ost) von 44,4990, dem Rentenartfaktor von 1,0 und dem aktuellen Rentenwert (Ost) von 30,69 € ermittelte. Nach Abzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung ergab sich ein monatlicher Zahlbetrag von 1.222,97 €. Beigefügt war dem Rentenbescheid ferner die Anlage "Versicherungsverlauf". Die Anlagen zur Berechnung der Entgeltpunkte aus den Beitragszeiten, aus beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten und aus dem Versorgungsausgleich waren nicht beigefügt.
Mit Schreiben vom 04.09.2018 hat die Klägerin persönlich Widerspruch eingelegt, der von ihrem Bevollmächtigten mit Schreiben vom 02.11.2018 begründet wurde. In der Widerspruchsbegründung wurde auf § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X hingewiesen, wonach jeder Verwaltungsakt zu begründen sei. Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X seien in der Begründung die wesentlichen, tatsächlichen und rechtlichen Gründe für die Entscheidung mitzuteilen. Diesen Anforderungen genüge der Rentenbescheid nicht. Ihm können weder die Berechnung der Entgeltpunkte für Beitragszeiten noch die Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten, die Kernbestandteil für die Berechnung der Rentenhöhe sind, entnommen werden.
Mit Schreiben vom 14.11.2018 hat die Beklagte die Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten", "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten" und "Versorgungsausgleich" an den Bevollmächtigten der Klägerin übersandt mit Bitte um Mitteilung, wie es mit dem Widerspruchsverfahren weitergehen soll. Der Bevollmächtigte der Klägerin erklärte hierzu, dass mit der Übersendung der Anlagen der Widerspruchsbegründung in vollem Umfang abgeholfen sei. Er bat um Zusendung der entsprechenden Kostengrundentscheidung für das Widerspruchsverfahren (Schriftsatz vom 27.11.2018).
Mit Bescheid vom 03.12.2018 hat die Beklagte festgestellt, dass Kosten nach § 63 SGB X für das Widerspruchsverfahren nicht erstattet werden. Der Widerspruch war nicht erfolgreich i.S.v. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der angefochtene Bescheid sei schon bei seinem Erlass mit der nach § 35 Abs. 1 SGB X erforderlichen Begründung versehen gewesen. Die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die der Entscheidung über den Rentenanspruch zugrunde lagen, wurden in dem Bescheid und den Anlagen, die Gegenstand des Bescheides waren, mitgeteilt. Doch selbst, wenn davon ausgegangen würde, dass der Bescheid ursprünglich nicht mit der erforderlichen Begründung versehen war, wäre dies aufgrund der nachträglichen Übersendung der ergänzenden Anlagen gemäß §§ 41, 42 SGB X unbeachtlich (Beschluss LSG Berlin-Brandenburg vom 31.03.2014, Az.: L 29 AS 314/14 NZB).
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 11.12.2018 gegen den Bescheid vom 03.12.2018 Widerspruch eingelegt. Es handele sich bei der zitierten Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg um eine Entscheidung aus dem Arbeitsförderungsrecht, die nicht ohne weiteres auf die Rentenversicherung übe...