Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Taxiunternehmen. vermutete Schwarzarbeit. Verletzung der Aufzeichnungspflichten bzgl Lohnunterlagen. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides. einstweiliger Rechtsschutz. Befugnis des Rentenversicherungsträgers zum Erlass von Verwaltungsakten zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe. Schätzung der Arbeitsentgeltsumme
Orientierungssatz
1. Da § 86a Abs 2 Nr 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl ua LSG Essen vom 7.1.2011 - L 8 R 864/10 B ER und vom 24.6.2009 - L 8 B 4/09 R ER)
2. Die grundsätzliche Befugnis des Rentenversicherungsträgers nach § 28p Abs 1 S 5 SGB 4 zum Erlass von Verwaltungsakten zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung endet, wenn es an einem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt fehlt.
3. Bei einer Schätzung des Arbeitsentgelts in Form einer Lohnsumme müssen die Ergebnisse in sich schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich sein. Ferner muss der Rentenversicherungsträger von sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen ausgehen, ist aber letztlich in der Wahl seiner Mittel frei, selbst wenn das Ergebnis für den Beitragsschuldner nicht das Günstigste ist (vgl LSG Chemnitz vom 8.12.2010 - L 1 B 1/08 KR-PKH).
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.07.2010 wird angeordnet, soweit die Antragsgegnerin die auf die Lohnsummen für die Jahre 2000 und 2001 entfallenden Steuern verbeitragt hat. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 9/10 und die Antragsgegnerin zu 1/10.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen und die Erhebung von Säumniszuschlägen.
Der Kläger betreibt ein Taxiunternehmen. Er beschäftigt mehrere Arbeitnehmer, die der bei der N-A der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als geringfügig Beschäftigte gemeldet hat. Ab dem 10.10.2003 führte das Hauptzollamt L - Finanzkontrolle Schwarzarbeit - Ermittlungen gegen den Antragsteller durch. Das Hauptzollamt wertete Lohnaufzeichnungen, Karteikarten und einen Tischkalender des Antragstellers aus und vernahm zusätzlich die Beschäftigten des Antragstellers. In der Gesamtschau der erhobenen Beweise kam das Hauptzollamt zu der Feststellung, dass die Beschäftigten in größerem Umfang als gemeldet für den Antragsteller tätig waren und höhere Lohnzahlungen als gemeldet erhielten; auch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Düsseldorf kam in seinem Bericht vom 22.01.2008 zur Feststellung von Schwarzlohnzahlungen und stützte dies u.a. auf die ermittelten Kilometerstände, eine Gutachten zu manipulierten Tachomärständen, die Auswertung der Taxameterdaten und die Aussage einiger Fahrer. In der Zeit vom 21.06.2006 - 05.05.2010 führte sodann die Antragsgegnerin beim Antragsteller an 23 Tagen eine Betriebsprüfung durch. Die Antragsgegnerin erhob zunächst mit Bescheid vom 03.07.2008 Sozialversicherungsbeiträge i. H. v. 240.513,07 Euro und hierfür Säumniszuschläge i. H. v. 150.531,93 Euro für den Prüfzeitraum 2002 und 2004 nach. Gestützt auf die Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamtes lägen die Voraussetzungen für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nicht vor. Mit weiterem Bescheid vom 09.07.2010 erhob sie unter Auswertung des Berichtes des Finanzamtes für Steuerstrafsachen vom 22.01.2008 für die übrigen Jahre des Prüfzeitraums 01.01.2000 bis 31.10.2006 weitere Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 567.272,52 EUR und Säumniszuschläge in Höhe von 501.560,83 EUR nach. Die stichprobenartig durchgeführte Prüfung habe Schwarzlohnzahlungen ergeben. Sie habe der Beitragsforderung Lohnsummen zu Grunde gelegt. Diese habe sie ausgehend von einem branchenüblichen Lohnanteil von 40 % der Einnahmen ermittelt, hiervon sei ein Abschlag von 5 % vorgenommen und somit Lohnzahlungen in Höhe von 35 % der ermittelten Bruttoumsätze angesetzt worden. Wie in den Vorjahren sei eine Buchung der Löhne in Höhe von 25 % der gebuchten Bruttoumsätze unterstellt worden, die Differenz sei die unversteuerte Lohnzahlung. Diese Schwarzlohnzahlung zuzüglich der vom Finanzamt festgestellten Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer sei das zu verbeitragende Sozialversicherungsbrutto. Ferner lägen die Voraussetzungen für den Erlass eines Summenbeitragsbesch...