Entscheidungsstichwort (Thema)

Vermutungswirkung des § 7 Abs. 3a SGB 2 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes

 

Orientierungssatz

1. Hält das Gericht des einstweiligen Rechtsschutzes bei summarischer Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB 2 für offen und ungeklärt, ob bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers nicht nur dessen Einkommen und Vermögen, sondern auch das seiner Partnerin zu berücksichtigen sind, weil diese möglicherweise mit ihm eine Bedarfsgemeinschaft bildet, so ist eine Folgenabwägung dahingehend vorzunehmen, dass Leistungen des SGB 2 vorläufig an den Antragsteller zu erbringen sind.

2. Der Leistungsträger des SGB 2 ist für den Nachweis der Voraussetzungen der Vermutungsregeln des § 7 Abs. 3 a SGB 2 als anspruchsvernichtende Tatsachen beweispflichtig. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat er diese im Sinn einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen.

3. Bei fehlenden Ermittlungen des Leistungsträgers über die Frage des Haushaltens und Wirtschaftens i. S. einer Bedarfsgemeinschaft kommt eine Sachverhaltsermittlung durch das Gericht des einstweiligen Rechtsschutzes von Amts wegen nicht in Betracht. Es verbleibt vielmehr allein die Möglichkeit einer Folgenabwägung. Das Gericht kann hierbei die Verpflichtung des Leistungsträgers zur vorläufigen Erbringung von Leistungen des SGB 2 zeitlich begrenzen.

4. Die Vorschrift des § 7 Abs. 3 a SGB 2 enthält eine Erhöhung der Anforderungen an die Mitwirkung der Betroffenen im Verwaltungsverfahren, wenn eine der darin genannten Anknüpfungstatsachen vorliegt. Sie begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Tenor

1. Dem Antragsteller wird für das Verfahren erster Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt C aus N beigeordnet.

2. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für den Monat Juli 2007 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 243,00 EUR zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

 

Gründe

Der nach der im Schriftsatz vom 27.07.2007 erklärten teilweisen Antragsrücknahme verbliebene sinngemäße Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig laufend ab dem 01.07.2007 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Höhe von 70 % der Regelleistung von 347,00 EUR monatlich, nämlich in Höhe von 243,00 EUR monatlich, zu gewähren,

hat im tenorierten zeitlichen Umfang Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache - auf Antrag - eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Eine solche Unzumutbarkeit ist zu bejahen im Falle einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 25.06.2007, Az. L 1 B 25/07 AS ER sowie Beschluss vom 18.04.2007, Az. L 7 B 69/07 AS ER).

Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfes (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Erforderlich im Rahmen der Glaubhaftmachung ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, III. Kapitel, Rn. 157). Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung sind zwar umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen, jedoch begrenzt die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bestehende Obliegenheit des Antragstellers zur Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund die Anforderungen an die im sozialgerichtlichen Verfahren bestehende Amtsermittlungspflicht des Gerichts (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 25.06.2007, a.a.O., m.w.N. aus der Rechtsprechung).

Die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ist grundsätzlich im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln. Können, soweit es um die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz geht, ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht n...

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