Entscheidungsstichwort (Thema)
Regress wegen der Verordnung methylphenidathaltiger Arzneimittel zur Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter
Orientierungssatz
1. Die Prüfgremien nach § 106 SGB 5 können Regresse wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln festsetzen. Eine unzulässige Verordnung eines Medikamentes liegt dann vor, wenn es außerhalb des Zulassungsrahmens und damit off-label verordnet worden ist.
2. Die Verordnung eines Medikamentes in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.
3. Eine Zulassung für Equasym ist bisher nicht und für Medikinet im März 2007 beantragt worden. Für keines der beiden Medikamente existieren gesicherte medizinische Erkenntnisse über einen voraussichtlichen Behandlungserfolg der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Erwachsenen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind Regresse wegen der Verordnung der Arzneimittel Equasym und Medikinet zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie in L-M niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den Quartalen 2/2004 und 3/2004 verordnete sie bei dem bei der Beigeladenen zu 1) Versicherten Dipl.-Ing. D, geb. 00.00.1967, Equasym 10 mg Tabletten und bei der dort Versicherten S, geb. 00.00.1966, Medikinet 20 mg Tabletten (jeweils Wirkstoff: Methylphenidat) im Gesamtbetrag von netto 264,81 EUR. Prüfanträgen der Beigeladenen zu 1) gab der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein mit Bescheid vom 19.12.2005 nicht statt, da eine Verordnung beider Arzneimittel im Off-Label-Use möglich gewesen sei.
Auf einen hiergegen eingelegten Widerspruch der Beigeladenen zu 1) setzte der Beklagte mit Bescheid vom 21.08.2006 Regresse in Höhe von insgesamt 264,81 EUR für die Verordnungen von Medikinet und Equasym zu Lasten der Klägerin fest: Die Voraussetzungen der Verordnung beider Medikamente nach Punkt 20.1.l der Arzneimittel-Richtlinien seien nicht gegeben, da es sich bei den Versicherten nicht mehr um vorpubertäre Schulkinder handele. Bei der vorliegenden Indikation sei auch eine Verordnung im Off-Label-Use nicht möglich gewesen.
Hiergegen richtet sich die am 19.09.2006 erhobene Klage.
Die Klägerin ist der Ansicht, alle Voraussetzungen, die das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - an die Zulässigkeit des Off-Label-Use gestellt habe, seien erfüllt. Es habe sich bei der ADHS in den konkreten Behandlungsfällen D und S um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung gehandelt, für die keine andere Therapie verfügbar sei. Dies gelte namentlich für Concerta, welches ebenfalls den Wirkstoff Methylphenidat enthalte. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Datenlage bestehe die begründete Aussicht, dass mit Equasym ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Dies ergebe sich insbesondere aus den Leitlinien für die Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter und den Abhandlungen von J. Fritze & M. Schmauß ("Off-Label-Use: Der Fall Methylphenidat"), psycho 28 (2002) Nr. III/12 Sonderausgabe, Esther Sobanski ("Medikamentöse Behandlung der ADHS bei Erwachsenen"), Psychopharmakotherapie 2006, 100-106, sowie des Rechtsanwalts Dierks ("Rechtliche Aspekte der Off-Label-Verordnung in der Praxis"), Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 6-2003, 458-461, und einem Artikel in der Ärzte-Zeitung vom 08.01.2007 ("Vier Prozent der Erwachsenen haben ADHS"). Zwischenzeitlich seien auch die Ergebnisse einer klinischen Prüfung der Phase III ("EMMA-Studie") ausweislich eines Artikels in der Ärzte-Zeitung vom 13.12.2006 veröffentlicht worden. Schließlich spräche die seit geraumer Zeit vorliegende Zulassung für eine Verordnung bei Kindern dafür, dass die Verordnung auch bei Erwachsenen im Rahmen des Off-Label-Use gerechtfertigt sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 21.08.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.
Nach seiner Ansicht sei bereits vom Grundsatz her eine berechtigte Off-Label-Verordnung nicht denkbar, da keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung in Rede stehe. Unabhängig hiervon habe die Klägerin bisher nicht dargestellt, wie die Patienten im Vorfeld behandelt worden seien. Insoweit könne auch die weitere Voraussetzung nicht überprüft werden, ob nach allgemein anerkanntem medizinischen Standard entsprechende Behandlungen tatsächlich ni...