Entscheidungsstichwort (Thema)

Regress der Krankenkasse wegen der Verordnung eines Arzneimittels außerhalb dessen Zulassungsrahmens

 

Orientierungssatz

1. Den Prüfgremien des § 106 Abs. 2 SGB 5 kann die Zuständigkeit für Regresse wegen unzulässiger Arzneimittelverordnung durch gesamtvertragliche Vereinbarung übertragen werden. Ein Regress kommt dann in Betracht, wenn das Arzneimittel außerhalb des Zulassungsrahmens und damit off-label verordnet worden ist.

2. Die Verordnung eines Arzneimittels außerhalb des Zulassungsrahmens zu Lasten der Krankenkasse setzt voraus, dass der Vertragsarzt der Krankenkasse zuerst die Prüfung ermöglicht, ob im konkreten Fall medizinisch belegbar eine nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität auf Dauer bei dem Versicherten besteht. Wird dies vom verordnenden Arzt verhindert, kann die Krankenkasse des Versicherten im Weg des Regresses gegen den Arzt vorgehen.

3. Eine Zulassung für das Arzneimittel Equasym zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter ist bisher nicht beantragt worden. Es fehlen bisher auch Erkenntnisse, die über Qualität und Wirksamkeit von Equasym im Anwendungsgebiet der Therapie der adulten ADHS wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Regress wegen der Verordnung des Arzneimittels Equasym zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter.

Die Klägerin ist als Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie in L-M niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. In den Quartalen 4/2004 und 1/2005 verordnete sie bei dem bei der Beigeladenen zu 1) Versicherten Dipl.-Ing. D, geb. 00.00.1967, Equasym 10 mg Tabletten (Wirkstoff: Methylphenidat) im Gesamtbetrag von netto 90,46 EUR. Auf Prüfanträge der Beigeladenen zu 1) verfügte der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein mit Bescheid vom 27.11.2006, berichtigt durch Korrekturbescheid vom 04.12.2006, einen Regress in dieser Höhe wegen der unzulässigen Verordnung des Arzneimittels.

Mit Bescheid vom 25.06.2007 wies der Beklagte einen hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin zurück: Die Voraussetzungen der Verordnung von Equasym nach Punkt 20.1.l der Arzneimittel-Richtlinien seien nicht gegeben, da es sich bei dem Versicherten nicht mehr um ein vorpubertäres Schulkind handele. Bei der vorliegenden Indikation sei auch eine Verordnung im Off-Label-Use nicht möglich gewesen.

Hiergegen richtet sich die am 03.07.2007 erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Ansicht, alle Voraussetzungen, die das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 19.03.2002 - B 1 KR 37/00 R - an die Zulässigkeit des Off-Label-Use gestellt habe, seien erfüllt. Es habe sich bei der ADHS im konkreten Behandlungsfall D um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung gehandelt, für die keine andere Therapie verfügbar sei. Dies gelte namentlich für Concerta, welches ebenfalls den Wirkstoff Methylphenidat enthalte. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Datenlage bestehe die begründete Aussicht, dass mit Equasym ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Dies ergebe sich insbesondere aus den Leitlinien für die Diagnostik und Therapie der ADHS im Erwachsenenalter und den Abhandlungen von J. Fritze & M. Schmauß ("Off-Label-Use: Der Fall Methylphenidat"), psycho 28 (2002) Nr. III/12 Sonderausgabe, Esther Sobanski ("Medikamentöse Behandlung der ADHS bei Erwachsenen"), Psychopharmakotherapie 2006, 100-106, sowie des Rechtsanwalts Dierks ("Rechtliche Aspekte der Off-Label-Verordnung in der Praxis"), Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 6-2003, 458-461, und einem Artikel in der Ärzte-Zeitung vom 08.01.2007 ("Vier Prozent der Erwachsenen haben ADHS"). Zwischenzeitlich seien auch die Ergebnisse einer klinischen Prüfung der Phase III ("EMMA-Studie") ausweislich eines Artikels in der Ärzte-Zeitung vom 13.12.2006 veröffentlicht worden. Schließlich spräche die seit geraumer Zeit vorliegende Zulassung für eine Verordnung bei Kindern dafür, dass die Verordnung auch bei Erwachsenen im Rahmen des Off-Label-Use gerechtfertigt sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 25.06.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.

Nach seiner Ansicht erfüllt das Krankheitsbild der ADHS schon nicht die Anforderungen an das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung, die durch eine auf die Krankheitsfolgen bezogene notstandsähnliche Situation charakterisiert sei. Im Übrigen sei bei einer Vorgeschichte mit aggressivem Verhalten oder Suizidgefährdung - für letztere könnten Versicherte nur eine spezifische Behandlung innerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenve...

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